Wien – Unbekannte haben in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in Wien-Floridsdorf Straßenschilder mit Begriffen überklebt, die offensichtlich Vorurteile gegen den Islam und Angst vor radikalem Islamismus schüren sollen: "Kirche leer, Allah dankt!", steht auf einem. Oder: "Schariagasse". Auf einem Wegweiser in der Nähe des Islamischen Glaubenszentrums ist "IS-Rekrutierung" zu lesen. Ein weiteres Schild wurde mit dem Namen von James Foley überklebt, jenem US-Journalisten, der im August von der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) ermordet wurde.

Die Aktion fügt sich in eine alarmistische Debatte, in der Muslime, radikale Islamisten und Terror in einen Topf geworfen werden. Und in der sich Lösungsansätze in Verschärfungen von Gesetzen und Verboten von Symbolen (wie etwa IS-Emblemen) erschöpfen. Von letzterem hält Aycan Demirel aber wenig. Er leitet in Berlin die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (Kiga) und betreut mehrere Bildungsprojekte für die Migrationsgesellschaft. Am Dienstag war er auf Einladung der Grünen in Wien.

"Den Terror in Syrien können Sie nicht mit neuen Gesetzen in Deutschland oder Österreich besiegen", sagt Demirel. Albert Steinhauser, Justizsprecher der Grünen, ist der Meinung, dass bestehende Gesetze ausreichen, um der Gefahr des "hausgemachten" Islamismus zu begegnen. Von Zensur im Internet, wo Terrorpropaganda hauptsächlich stattfindet, hält er generell nichts.

Staatsschutz ermittelt

Wie am Dienstag bekannt wurde, soll die grüne Frauensprecherin Berivan Aslan via Twitter bedroht worden sein. Nachdem die kurdischstämmige Tirolerin sinngemäß getwittert hatte, dass IS-Unterstützer auch Vergewaltigungen gutheißen würden, und gefragt hatte: "Wo bleibt eure Ehre?", erhielt sie von einem "Zelluha" die Antwort: "Erst wenn du das Schwert des Islamischen Staates am Nacken spürst, wirst du wissen, was Ehre bedeutet." Der Staatsschutz hat Ermittlungen aufgenommen.

Im Sinne einer möglichst frühen Prävention fordert Alev Korun, Menschenrechtssprecherin der Grünen, multiprofessionelle Anlaufstellen für verunsicherte und hilfesuchende Menschen. Wie das funktioniert, skizzierte Aycan Demirel: "Wir bauen in Schulen Gruppen auf, die sich sowohl mit Radikalsimus als auch mit Rassismus beschäftigen".

Jugendliche Muslime würden besonders darunter leiden, dass ihre Religion häufig mit Terror gleichgesetzt werde. In der nichtmuslimischen Bevölkerung gebe viele Informationsdefizite. Die Kreuzberger Initiatve veranstalte zum Beispiel Konferenzen, bei denen historisch wichtige Ereignisse nachbesprochen würden.

Der Umstand, dass die Mehrheit der Muslime wiederum kein übertriebenes Engagement gegen radikalen Islamismus zeigten, sei leicht zu erklären: "Warum soll ich mich von etwas distanzieren, mit dem ich überhaupt nichts am Hut habe?" Viele Muslime fühlten sich dadurch unter Druck gesetzt. Demirel kritisiert außerdem, dass Medien in Berichten selektiv übertreiben. (Michael Simoner, DER STANDARD, 1.10.2014)