Innsbruck/Wien – Mitte der 2020er-Jahre sollen die ersten Züge durch den Brennerbasistunnel geschickt werden. Die 55 Kilometer lange Abkürzung durch die Alpen könnte auch dazu beitragen, Innsbruck mit Energie zu versorgen. Das sehen zumindest die Pläne des EU-Projekts Sinfonia vor, bei dem Innsbruck und Bozen gemeinsam Smart-City-Technologien entwickeln. Jene Maßnahmen, die sich bewähren, sollen in weiteren Städten in ganz Europa adaptiert und ebenfalls umgesetzt werden.
Die Energie soll in Form von Wasser aus dem Brennerbasistunnel fließen. "Das Wasser hat 22 Grad und kann zum Heizen und Kühlen von Gebäuden verwendet werden", schildert Klaus Meyer von der Standortagentur Tirol, die das Projekt auf der Nordtiroler Seite koordiniert. In Kooperation mit den Tunnelbauern sollen Vorbereitungen getroffen werden, dass das Drainagewasser aus dem Berg ausgeleitet werden kann. Ein ausgeklügeltes Leitungssystem könnte es zu einem zentralen Sammelpunkt führen, um das Wasser dann mithilfe von Wärmepumpen in großen Gebäudekomplexen, etwa Einkaufszentren, thermisch zu nutzen. Bis zu 300 Liter Wasser pro Sekunde würde der Berg hergeben, wie Studien besagen. 20.000 Megawattstunden Energie stünden damit zur Verfügung.
Gleichzeitig sollen im Rahmen von Sinfonia industrielle Abwässer und Kläranlagen zur Energiegewinnung genutzt und das Fernwärmesystem soll weiterentwickelt werden. Die Schwierigkeit liege darin, eine Infrastruktur, an der sehr viele Einrichtungen beteiligt sind, gemeinsam zu planen, sagt Meyer.
Auf der anderen Seite soll der Energieverbrauch in den Wohnungen reduziert werden: 1000 Wohnungen werden in dem fünf Jahre laufenden Projekt saniert. In Innsbruck geht es dabei um 66.000 Quadratmeter Wohnfläche. Zum Teil könnte der Energieverbrauch bis auf Passivhausniveau, also unter 15 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr gedrückt werden. Neue Fenster, Lüftungen, Dämmungen, Solarthermie und Photovoltaik sollen aus Wohnhäusern, in denen zum Teil noch kleine Öfen einzelne Zimmer heizen, energieeffiziente Vorzeigeimmobilien machen.
Eiskalter Energiespeicher
Ein Teil der Wohnungen wird in ein Smart Grid eingebunden und mit intelligenten Stromzählern und Haushaltsgeräten ausgestattet. "Das Gefrierfach kann dann auch die Funktion eines Stromspeichers haben", sagt Meyer. Wenn der Strom billig ist, verwenden ihn die Geräte, um auf bis zu minus 30 Grad zu kühlen. Bei teurem Strom steigt die Temperatur im Tiefkühlgerät wieder auf das übliche Niveau.
"Ziel ist es, die Produktion und den Konsum von Strom möglichst gut zu synchronisieren", sagt Meyer. Welche technischen Maßnahmen im Detail umgesetzt werden können, ist aber vielfach noch offen. Ursprünglich war etwa auch der Bau eines Wasserkraftwerks als Teil eines virtuellen Kraftwerkssystems angedacht. Davon sei man aber wieder abgekommen.
Um zu überprüfen, ob die Maßnahmen die erwünschten Ergebnisse liefern, werden in 500 sanierten Wohnungen Messboxen aufgestellt. Wissenschafter der Uni Innsbruck beobachten ein Jahr lang Innentemperaturen, Feuchtigkeit und Kohlendioxidgehalt und gleichen die Werte mit den Energieverbrauchszahlen ab.
Anders als beim Wiener Großprojekt in Aspern, wo ein neuer Stadtteil hochgezogen wird, geht es in Innsbruck darum, die Smart-City-Konzepte in bestehende Infrastruktur zu integrieren. Dabei sei es wichtig, nicht stärker als unbedingt notwendig in vorhandene Strukturen einzugreifen, sagt Meyer.
Daniela Hohenwallner von alpS, einem Zentrum für Klimawandelanpassung in Innsbruck, und ihr Team haben die Aufgabe, alle Beteiligten in die Kommunikationsprozesse einzubeziehen, ein Thema, das gerade bei den Mietern heikel sein kann. Mit welchen Maßnahmen die Bewohner durch die Sanierung begleitet, wie sie mit den neuen Technologien vertraut gemacht werden sollen, ist noch offen. "Mein Wunsch wäre, dass man nicht nur konkrete Maßnahmen, sondern auch die größeren Zusammenhänge des Konzepts erklärt", sagt Hohenwallner. Es gehe darum, Interessen auszugleichen: "Wenn die Sanierung eine unbeheizte Loggia vorsieht, der Mieter sie aber warm haben will, muss nach einem Kompromiss gesucht werden."
Umsetzung in ganz Europa
In der Partnerstadt Bozen wird mit ähnlichen Maßnahmen an der Energieeffizienz gearbeitet. Dort liegen Schwerpunkte auf der Energiespeicherung in Wasserstoff und einer smarten Stadtbeleuchtung. Erfolgreiche Techniken aus Innsbruck und Bozen werden künftig in fünf weiteren europäischen "Early Adopter"-Städten umgesetzt. Stadtentwickler in Rosenheim, La Rochelle, Sevilla, Paphos auf Zypern und Boras in Schweden werden dahingehend gecoacht. Weitere neun Städte von Mödling bis San Sebastián in Spanien sind als Beobachter Teil des Projekts und an einer künftigen Umsetzung interessiert.
Das 43 Millionen Euro schwere Projekt, dessen Gesamtkoordination beim schwedischen SP Technical Research Institute liegt, wird im Rahmen des EU-Forschungsrahmenprogramms mit Mitteln von mehr als 27 Millionen Euro gefördert. Sinfonia fügt sich als größtes Projekt in eine ganze Reihe von Smart-City-Initativen in Österreich: Am Montag starteten Verkehrsministerium und die Förderagentur FFG etwa den zweiten Call des Programms "Stadt der Zukunft". Einreichungen sind bis 29. Jänner 2015 möglich. (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 1.10.2014)