Unwissen führt zu Verunsicherung – dieser Zusammenhang lässt sich auch am aktuellen Fall einer Patientin mit der Viruserkrankung MERS (Middle Easte Respiratory Syndrome) nachvollziehen, die im Wiener Kaiser-Franz-Josef-Spital behandelt wird. Besteht also die Gefahr einer Ausbreitung in Österreich?
Der Infektiologe Wolfgang Graninger gibt Entwarnung. Er leitet die klinische Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin am Wiener Allgemeinen Krankenhaus. Zwar könne das Virus durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragen werden. Man nehme aber an, dass es sich durch die Übertragung abschwächt – anders etwa als das Masernvirus, das von Übertragung zu Übertragung aggressiver wird.
Auch Pamela Rendi-Wagner, Sektionsleiterin für öffentliche Gesundheit, beruhigt: "Eine Gefahr für die österreichische Bevölkerung ist nicht gegeben. Das ist nicht gleichzusetzen mit einem Grippevirus", so die Medizinerin. "Nur der symptomatische Patient ist ansteckend." Die Viruserkrankung MERS ist seit 2012 bekannt, wird vermutlich von Dromedaren übertragen und ist vor allem durch schwerste Lungenentzündungen samt Komplikationen gekennzeichnet. In etwa jedem dritten Fall endet sie tödlich. In Europa sind bisher zwölf Fälle bekannt, der 13. trifft nun Österreich.
Unspezifische Symptome
"Ein Fall ist kein Fall", sagt Graninger. "Schlimm wird es, wenn gleich mehrere hundert Patienten betroffen sind". Das sei in Österreich derzeit aber nicht zu erwarten. Erkennt man betroffene Patienten sofort? "Nein", sagt Graninger. Denn die Erkrankung verläuft im ersten Stadium oft unspezifisch, die Symptome ähneln einer Grippe. Die Inkubationszeit von MERS beträgt einige Tage, der Patient merkt also die Erkrankung nicht sofort. Entscheidend für die Diagnose ist also, woher der Patient kommt.
"Keine klassische Therapie"
"Wenn ein Patient von der arabischen Halbinsel kommt und unspezifische Atemwegsbeschwerden hat, muss jeder Arzt an MERS denken", appelliert Graninger. Jener Mediziner, der die MERS-Patientin aus Saudi-Arabien diagnostiziert hat, habe offenbar mitgedacht. Besteht Verdacht auf MERS, muss der Patient schleunigst isoliert werden. Denn: "Es gibt keine klassische Therapie", so der Infektiologe. Wenn ein Patient aber nicht mehr richtig atmen kann, müsse er künstlich beatmet werden.
Die Patientin aus Saudi-Arabien in Wien wird derzeit mit einem Aids-Medikament behandelt. "Dafür gibt es positive, wissenschaftlich belegte Behandlungsergebnisse", sagt der Vorstand der Infektionsabteilung des Kaiser-Franz-Josef-Spitals, Christoph Wenisch.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO bestätigt für das Jahr 2014 bisher weltweit 837 MERS-Fälle, von denen 291 tödlich verlaufen sind. Bereits im Juli rief die WHO alle Mitgliedsstaaten auf, Patienten mit akuten Atemwegsinfektionen besonders zu beobachten und bei untypischem Erkrankungsverlauf aktiv zu werden. Durch das Virus besonders gefährdet sind laut WHO Menschen mit Diabetes, chronischer Lungenkrankheit und allgemein geschwächtem Immunsystem.
Wie Österreich reagiert
Im Gesundheitsministerium fand Dienstagvormittag ein Treffen von Experten statt, um die nötigen Maßnahmen rund um den MERS-Fall zu koordinieren. Auch die europäische und die internationale Meldestelle für Infektionskrankheiten wurden über den Fall informiert.
Die Frau, die nun mit MERS in Wien liegt, war vor einigen Tagen mit dem Flugzeug aus Saudi-Arabien nach Wien gekommen, hatte aber nach Angaben Rendi-Wagners im Flugzeug noch keine Beschwerden. Dennoch müssten auch die mitreisenden Passagiere über den Krankheitsfall informiert werden. (Lisa Mayr, derStandard.at, 30.9.2014)