Die Linie 7 nach Queens.

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"Take the train 7 to Flushing, Queens. Find the Tianjin Dumpling House."

Flushing also. "Wohin?!", entfährt es einer US-amerikanischen Kollegin. Mehr als eine Stunde würde ich öffentlich ins Herz von Queens brauchen, was ich denn dort eigentlich wolle. Sie starrt mich entgeistert an. Die New Yorker würden gerne unter sich bleiben, auch in ihren Vierteln. "Your friend who won’t ride the trains? Leave her at home", empfiehlt ein Blogger, der davon schwärmt, nach Queens zu fahren, um sich dort durch die Küchen der Welt zu schlemmen.

Schon allein die Linie 7 hat eine Geschichte: 1999 sorgte der Baseball-Star John Rocker für Furore, weil er sich in einem Interview über die Fahrgäste der sogenannten "International Line" ausließ. Mit diesem Zug zum Stadion zu fahren käme einer Tour durch Beirut gleich. Wegen der vielen Ausländer würde er lieber in Pension gehen, als für die New York Mets oder die Yankees zu spielen, verlautetet er über eine Sportzeitschrift. Ein paar Rassismussager und Steroidmissbräuche später war ohnehin Schluss mit seiner Karriere. Auf jeden Fall hat er die Linie 7 berühmt gemacht. Ach ja: Und "Fran" Fine, die quirlige Sitcom-Nanny, stammt auch aus dieser Ecke.

Es ist Donnerstagnachmittag, die meisten Passagiere dösen vor sich hin, ein Punk mit pinken Haarspitzen ist in ein Buch über medizinische Fachbegriffe vertieft. Wir tuckern an leerstehenden Fabriken und Lofts vorbei, nach knapp 30 Minuten sind wir da. Flushing also – das zweitgrößte (und wahrscheinlich echtere) Chinatown von New York.

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Bis in die 1970er- Jahre lebten hier vor allem italienische und griechische Einwanderer, dann ging es wirtschaftlich bergab. Wegen der sinkenden Immobilienpreise ließen sich Koreaner und Chinesen nieder. Heute kommen die meisten Einwohner aus Taiwan, Südostasien und zunehmend auch aus Lateinamerika.

"Your destination is the Golden Shopping Mall."

Alles klar. Etwa 90 Prozent der Shops auf der Flushing Main Street sind in Chinesisch angepriesen. Es fühlt sich weit mehr wie Chinatown an als der namensverwandte Bezirk in Manhattan: Traditionelle Apotheken mit getrockneten Algen und Schwämmen in der Auslage wechseln sich ab mit jeder Menge Lokale, Nagelstudios und Geschäften mit traditionellen Glücksbringern. Touristen sind hier keine mehr zu sehen.

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An den Imbissständen hängen dunkelbraun glasierte Enten und Tintenfische. Die genannte Adresse 41-36 Main Street entpuppt sich als Schönheitssalon, der sich schon auf neue Kundschaft eingestellt hat: "Se habla espanol (hier wird Spanisch gesprochen)" steht auf einem Zettel im Fenster.

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"There may or not may be a sign for the store"

There may not be. Weit und breit kein Hinweis auf das Tianjin Dumpling House. Der Friseur und ein Mädchen finden die journalistische Schnitzeljagd sehr amüsant und helfen bei der Suche. Zwischen dem Blumenladen und der Trafik, das müsste es sein. In der Warteschlange an der Theke steht Zhu Lijun, ein junger Mann aus der Hunang-Provinz in China. Ob er wisse, ob das nun das ersehnte Knödelhaus sei? Lijun diskutiert mit der Köchin, sie weiß es auch nicht so genau.

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In dem kleinen Lokal drängen sich immer mehr Asiaten, es riecht hervorragend nach Suppen, gekochtem Fleisch und Koriander. 16 Dim Sum für 4,50 US-Dollar – auf der Insel kostet das gleiche Abendessen mindestens das Dreifache. Lijun bestellt sich eine Suppe mit Tofu und Wantan, ich bekomme den Teller voller frischer, dampfender Dim Sum.

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Sie sind gefüllt mit grünen Blättern, Ei und Shrimpsfleisch. "Hhm, Lauch", sagt Lijun und nimmt einen davon. Er lächelt. "Da bekomme ich Heimweh. Meine Mutter hat die immer gemacht", seufzt er. Seit drei Monaten lebt er in New York, um Englisch zu lernen. Jeden Tag pendelt er an das Institut nach Manhattan. "Es gefällt mir richtig gut", sagt er. In drei Monaten wird er wieder zurückgehen nach China, die Chancen für junge Menschen seien derzeit so gut wie noch nie, meint er.

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Was ich von den aktuellen Demonstrationen in Hongkong hielte, fragt Lijun vorsichtig. Dass ich mich für die Menschen in China und Hongkong freuen würde, wenn sie mehr Freiheiten erfahren, sage ich ebenso vorsichtig. "Ja, genau. Es ist gut, dass das jetzt passiert", fügt er sichtlich erfreut aus.

Wir unterhalten uns noch über Umweltschutz in China, dann schlendere ich gemächlich zur Station zurück. Dort schreit der Schaffner, ich solle mich beeilen, es sei der letzte Zug zurück. Und nun weiß ich auch, warum manche New Yorker bei der Vorstellung stöhnen, mit dem Zug nach Flushing zu fahren: Der letzte Zug ist ein "local" und braucht tatsächlich mehr als eine Stunde.

"I promise this will be the farthest you have to travel. Cheap eats are a badge of honor for New Yorkers and this excursion is the ultimate find."

Danke Seth! Flushing ist die Reise in jedem Fall wert! (Julia Herrnböck, derStandard.at, 30.9.2014)