Ein Clown als Allegorie der Kunst thematisierte zur Festivaleröffnung den verordneten Optimismus der Gegenwart.

Foto: Steierischer Herbst / Wolfgang Silveri

Graz - Kreise ziehen, anstatt sich einzubunkern: Das kann das Mehrspartenfestival Steirischer Herbst, das hat es immer wieder bewiesen. Die Kreise, die heuer den grafischen Auftritt des Festivals bestimmen, sind symbolhaft gemeint, wie Intendantin Veronica Kaup-Hasler am Freitagabend in ihrer Eröffnungsrede in der Grazer Helmut-List-Halle betonte.

Man will weitere Kreise ziehen als bisher: Die Steiermark jenseits der Grazer Stadtgrenzen wird heuer intensiver eingebunden. Wer wichtige Programmpunkte des Festivals miterleben will, muss sich bis 19. Oktober nach Wildon, Bad Gleichenberg, Bad Radkersburg oder Stainz begeben, wo bildende Künstler, Theatermacher und Musiker die Orte auch inhaltlich thematisierten oder zumindest mitdachten.

Doch man begann in Graz, wo Kaup-Hasler am Freitagabend nicht nur die Absurdität des virtuellen "Teilens" ansprach, das im Leitmotiv des Festivals I prefer not to ... share! auch gemeint ist, sondern auch die konkreten Unerträglichkeiten der Gegenwart Europas, "das zunehmend älter wird und sich Sorgen um die demografische Entwicklung macht" - und dabei mit "dem Ausdruck der Betroffenheit und des Bedauerns zusieht, wie junge Menschen ans seine Ufer herangeschwemmt werden". Nachsatz der Intendantin: "Vielleicht sollten wir hier alle einmal die Genfer Flüchtlingskonvention im Chor lesen."

Denn der virtuelle Bunker der Gegenwart ist ein riesiger Partykeller. In dessen unheimliche Sphären hat sich die belgische Needcompany direkt nach der Rede "gehackt" und daraus den Eröffnungsevent generiert: All Tomorrow's Parties, eine große, zweiteilige Performance unter der künstlerischen Leitung von Grace Ellen Barkey. Ein einmaliges Ereignis als Auftragswerk des Festivals, das die ganze Bandbreite seines Anspruchs zeigen sollte.

Zeitgenössische Dekadenz

Vor dem Event stellte sich die Frage, ob ausgerechnet die künstlerisch etwas angejahrte Brüsseler Truppe wirklich dafür geeignet ist, den richtigen kritischen Schnitt durch das Fleisch der zeitgenössischen Dekadenz zu setzen. Danach war klar, dass die Antwort kein eindeutiges Ja sein kann.

Die von Jan Lauwers geführte Needcompany ist in Österreich durch Auftritte etwa bei den Salzburger Festspielen und im Burgtheater bekannt. Barkey zeigte einige ihrer Stücke bei Impulstanz, ebenso ein Seitenstrang der Needcompany, das MaisonDahlBonnema von Hans Petter Dahl und Anna Sophia Bonnema. Beide traten bei All Tomorrow's Parties auf.

Wirklich gewagt war die Einladung der so respektablen wie kalkulierbaren Belgier also nicht. Doch bei genauerem Hinsehen wurde die Funktion dieses Bilderbogens aus Performance, Tanz und Video verständlich. Zu Beginn hieß es programmatisch: "Art without art is always entertainment." Also verschwand der dann auftrumpfende Entertainer im Paillettenanzug bald wieder, nachdem er Peter Brook zitiert und das Theater erklärt hatte.

Velvet-Underground-Atmosphäre

Fantasiefiguren in Krinolinen und mit Porzellangeschirr an den Körpern traten auf, darunter ein zeternder König. Ein queerer Sänger in buntem Strickröckchen sang ironisch: "Freedom is a bore like a closed department store." So entstand ein wenig Velvet-Underground-Atmosphäre. Der Titel der Performance zitierte den berühmten Song von Lou Reed aus dem Jahr 1967: "And what costume shall the poor girl wear / To all tomorrow's parties ...", sang Nico. Eine große Frage. Sie ließ nur einen Schluss zu: "She'll turn once more to Sunday's clown / And cry behind the door." In Grace Ellen Barkeys Stück trugen die Frauen meist Glitzerkleider.

Beleuchtungskörper paradierten, Prozessionen entstanden und verlöschten, im Video war ein Fischmarkt zu sehen, auf dem die Tiere bei lebendigem Leib zerteilt wurden. "The artist has to be nice", hieß es spöttisch in einem Lied, "so you can understand." Barkey, die in dem Stück so gut wie ununterbrochen aus älteren eigenen Stücken zitierte, war so nett. An diesem Abend war alles Nichtverstehen unmöglich.

Auftritt eines Schwarznasen-Clowns in giftgelbem Anzug als Allegorie der Kunst. Mit tiefer Monsterstimme zählte er auf, was gut ist: Alles ist gut in Zeiten des verordneten Optimismus. Sogar in gewissem Sinn der Auftritt des Musikers Rombout Willems, der im zweiten Teil den sentimentalen Lou-Reed-Song mit Inbrunst und dem Computerinstrument Arduino folterte. Das illustre Eröffnungspublikum verstand es: The Party's Over (wie Judy Holliday schon 1956 sang). Dafür hat der Steirische Herbst begonnen. (Helmut Ploebst, Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 29.9.2014)