"Dass die Ungarn Paprika im Hintern haben, ist ein Mythos, der von jenen Kavallerieoffizieren stammt, die Kaiserin Sisi umgarnt haben. Tatsächlich sind die Ungarn sehr bequem", sagt die Studentin aus Kecskemét, der schönen Jugendstilmetropole zwischen Donau und Theiss. Es müsse schon gewaltiger Druck auf ihnen lasten, dass sie sich auflehnen wie 1956. "Aber diese Ereignisse sind für uns Junge schon genauso weit weg wie die Habsburgermonarchie."

Erst dann beantwortet sie die gestellte Frage: Was hält sie von Viktor Orbán? "Er ragt heraus. Und er ist aus Székesfehérvár (Stuhlweißenburg, Westungarn, Anm.), nicht aus der Hauptstadt." Also sei an ihm nichts zu kritisieren? "Nein. Außer dass er sich schon wie ein König von Ungarn fühlt."

Viel mehr ist nicht herauszukriegen - auch nicht aus anderen Gesprächspartnern in der über 100.000 Einwohner zählenden Hauptstadt des größten ungarischen Komitats (Bundeslandes) Bacs-Kiskun, das im Süden schon an Serbien grenzt. Im Stadtzentrum, mit einigen Kaffeehäusern nach Wiener Art, sieht man keine Touristen, auch so etwas wie Migration ist nicht spürbar: "Es gibt hier nur Ungarn", sagt ein älterer Herr und blickt wieder in die Lokalzeitung: "Ausländische Blätter? Wo denken Sie hin? Die meisten Leute konsumieren Unterhaltungsfernsehen oder hören das Kossuth-Radio, den Regierungssender. Unsereins und etliche andere informieren sich noch über Internet." Er sei Buchhändler gewesen. Und einsam wie immer.

Aber das seit 2012 B-Modelle produzierende Mercedes-Werk mit 3000 Arbeitsplätzen müsse doch eine Veränderung bringen. "Das sind meistens Pendler, und die paar Hundert Deutschen, die auch dort arbeiten, spüren wir überhaupt nicht", mischt sich die Kellnerin ein. "Beruhige dich", sagt der Pensionist, "das ist noch zu kurz für einen Befund." Aber dann kommt's: "Zum Abschluss noch eines: Kecskemét hat auch einen Nato-Stützpunkt. Wer weiß, ob es da nicht eine Rüstungszusammenarbeit gibt. Orbán ist ein schlauer Mann." Er zwinkert mit den Augen, steht auf, winkt und geht.

In der Puszta, wo in den 90er-Jahren viele Einzelhöfe von Deutschen und Schweizern über Strohmänner erworben wurden, ist die Stimmung nicht viel anders. Eine alte Dame aus Hamburg (Sie bezeichnet sich als "Monatspendlerin") meint, dass der Mindestlohn von 150 Euro auf dem Papier und aus westlicher Sicht sehr wenig sei. Aber den kleinen Landwirten und Landarbeitern genüge das. Auf den Reiterhöfen und in den Wellness-Hotels verdienten sie dazu: "Was sie nicht hindert, den Extremisten von Jobbik zu glauben, die von einem besetzten Land sprechen."

"Sie als Journalist sollten mich fragen, was die Menschen hier in den Pusztadörfern von den Verletzungen der Pressefreiheit halten? Die wissen nicht, was das ist. Sie hören nur Radio. Presse und Medien, das sind Phänomene der Hauptstadt. Uns selbst stellt sich ein anderes Problem: Können wir unsere Besitzungen, deren Wert angesichts der Rechtsunsicherheiten ständig sinkt, noch lange behalten?" Ein Plus: Seit Orbán gebe es deutlich weniger Einbrüche. (Gerfried Sperl, DER STANDARD, 29.9.2014