Die Verurteilung des türkischen Soziologen Erol Özkoray zu knapp einem Jahr Haft auf Bewährung wegen Zitierens von Grafitti-Sprüchen auf Häuserwänden verstört die EU-Kommission. Der Sprecher des scheidenden Erweiterungskommissars Stefan Füle gab am Freitag gegenüber dem STANDARD folgende Erklärung ab:

"Die EU-Kommission hat mit Besorgnis vom Urteil gegen Erol Özkoray erfahren. Freie Meinungsäußerung schließt das Recht ein, Informationen und Ideen zu erhalten und weiter zu geben innerhalb der Grenzen, welche die Europäische Konvention für Menschenrechte und Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gesetzt haben." Die sei ein grundlegendes Menschenrecht und essenzieller Bestandteil einer jeden Demokratie, fuhr Sprecher Peter Stano fort.

Özkoray hatte in einem Buch über die Gezi-Proteste vom Sommer 2013, das er gemeinsam mit seiner Frau Nurten verfasst hatte, im Anhang unter anderem Graffiti-Sprüche aufgelistet, die sich zum Großteil gegen den damaligen Regierungschef und heutigen Staatspräsidenten Tayyip Erdogan richteten. Erdogan verklagte daraufhin den bekannten Soziologen wegen Verunglimpfung. Özkoray wurde nun zu elf Monaten und 20 Tagen Gefängnis verurteilt.

In einer ebenfalls am Freitag verbreiteten Stellungnahme zu seiner Verurteilung wies Özkoray daraufhin, dass es im türkischen Strafrecht keinen Artikel mehr gebe, der die Verbreitung von etwas, das ein Verbrechen darstelle, selbst zum Verbrechen mache: "Das Gericht hat ein Gesetz erfunden, um mich zu verurteilen." Das Verfahren zeige, dass die Justiz in der Türkei dem Willen der Regierung und deren Chef unterliege, folgerte der Soziologe. Der österreichische EU-Kommissar Johannes Hahn wechselt mit Antritt der neuen Kommission im November das Ressort und wird anstelle von Füle künftig die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei führen. Der nächste Fortschrittsbericht über die Verhandlungen wird für den 8. Oktober erwartet. (Markus Bernath, DER STANDARD, 26.9.2014)