Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Polizeizeuge belastete Josef S., der zu zwölf Monaten teilbedingter Haft verurteilt wurde.

Foto: apa/hochmuth

Die Zeugenaussage eines Zivilpolizisten war es, die zum vielbeachteten Schuldspruch gegen den deutschen Studenten Josef S. am 22. Juli am Wiener Landesgericht führte: Josef S. wurde zu zwölf Monaten teilbedingter Haft verurteilt, weil er laut Ansicht des Gerichts bei der Demo gegen den FPÖ-"Akademikerball" am 24. Jänner Rädelsführer eines Mobs gewesen sein soll, der Polizisten verletzt und Polizeieigentum beschädigt habe (derStandard.at berichtete). Doch ebendieser Einsatz von Zivilpolizisten sorgt nun für viele Fragen. Eine parlamentarische Anfragebeantwortung von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hätte das Dunkel erhellen sollen, doch die Ministerin zeigt sich wortkarg.

Festgenommener Polizist

Unklar bleibt etwa, warum der Zivilpolizist vorübergehend auf die Wachstube mitgenommen wurde – er hatte selbst vor Gericht ausgesagt, von Kollegen "festgenommen" worden zu sein. Laut dem grünen Justizsprecher Albert Steinhauser, der die die Anfrage an die Ministerin gerichtet hat, lässt diese Anhaltung nur zwei Schlüsse zu: Entweder hat der Beamte gegen Gesetze verstoßen – sonst wäre er nicht festgenommen worden. Oder aber er wurde ohne konkreten Anlass festgenommen – dann stelle sich die Frage, wie viele Unschuldige sonst noch aufs Polizeirevier mitkommen und sich ausweisen mussten.

Die Innenministerin quittiert dieses Logikspiel mit einem einfachen Satz: "Er (der Beamte, Anm.) wurde nicht festgenommen." Man habe nur seine Personalien überprüft, der Polizist habe seinen Dienstausweis hergezeigt. Warum man ihn deswegen aufs Revier mitnehmen musste, klärt die Ministerin nicht auf. Nur so viel: Auf der Demo seien "keine Personen ohne ersichtlichen Grund festgenommen oder deren Identität festgestellt worden". Welchen Grund hatte also die Identitätsfeststellung des Wega-Beamten? Diese Frage bleibt unbeantwortet.

Keine Angaben über Zahl der Zivilbeamten

Steinhauser wollte auch wissen, wie viele zivile Beamte "im Block der Demonstranten" mitgegangen seien. Gar keine, so die Ministerin, hätten sich im "Schwarzen Block" befunden. Wie viele insgesamt dabei waren, sagt sie nicht. "Es steht der massive Verdacht im Raum, dass das Ausmaß von Zivilpolizisten, die die Demonstration unterwandert haben, ebenso verschleiert werden soll wie die Frage, was sie sie dort genau mit welchem Auftrag gemacht haben", sagt Steinhauser. Zur Erinnerung: Im Juli erstaunte das Ministerium mit der Nachricht, dass man zu einer Demo im Mai 110 Zivilbeamte geschickt hatte (derStandard.at berichtete).

In einem Punkt wird Mikl-Leitner deutlich: Mit privatem Gerät auf einer Demo mitzufilmen ist Polizisten nicht erlaubt. Der Hauptbelastungszeuge im Fall Josef S. hatte wie berichtet auf der Demo fleißig mitgefilmt, um etwaige Tathandlungen zu dokumentieren – und zwar mit seinem privaten Smartphone. Später habe er einige der Videos gelöscht, sie seien "unbrauchbar" gewesen, sagte er vor Gericht – der Beamte filmte also nicht nur mit privatem Gerät, er filterte auch selbst, was die Staatsanwaltschaft bekommen darf und was nicht. Ob das normal sei, fragte Steinhauser.

Die trockene Antwort des Innenministeriums: "Es ist den Bediensteten der Landespolizeidirektion Wien die Verwendung (…) privater Datenverarbeitungsanlagen (…) bei Amtshandlungen jeglicher Art untersagt, um Verletzungen des Amtsgeheimnisses vorzubeugen." Der Polizist hatte also die Vorschrift verletzt. Ganz eigenmächtig dürfte er dabei nicht vorgegangen sein – auch eine Wega-Kollegin hatte vor Gericht ausgesagt, mit ihrem eigenen Handy fotografiert zu haben (derStandard.at berichtete).

Privathandy im Dienst

Privathandys im Dienst als Sparmaßnahme bei der Wiener Polizei? "Grundsätzlich hat das Ministerium recht", dass Privathandys tabu seien, heißt es bei der Wiener Polizei auf derStandard.at-Anfrage. Aber: "In diesem Fall hat ein Beamter in Ermangelung anderer Möglichkeiten sein eigenes Handy verwendet." Er habe das Material aber "nur der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt", die habe es als Beweismittel zugelassen. Von einer anderweitigen Verwendung, etwa auf Youtube, habe der Beamte "selbstverständlich" abgesehen.

Der Zivilpolizist, auf dessen Aussage der Schuldspruch gegen Josef S. fast zur Gänze beruht, hatte vor Gericht angegeben, er sei am 22. Jänner in einem Dreierteam mit zwei Kollegen unterwegs gewesen, habe die Kollegen im Lauf des Abends jedoch öfters aus den Augen verloren. Das bestätigten auch die beiden anderen Teamkollegen auf Fragen des Gerichts.

Doch in der Anfragebeantwortung liest sich das anders: "Bei mehreren Brennpunkten können sich die Mitglieder des Teams auch voneinander trennen." Von mehreren Brennpunkten kann zum Zeitpunkt, als die Beamten einander aus den Augen verloren, jedoch nicht die Rede sein, alles konzentrierte sich auf dem Stephansplatz. Vielmehr deutet die Aussage einer Polizistin vor Gericht darauf hin, dass man mit dem Einsatz schlicht überfordert war: "Den einen Kollegen haben wir leider verloren. Mit dem anderen Kollegen habe ich mich gegenseitig an den Rucksäcken gehalten, denn sonst wären wir auch getrennt worden", sagte die Beamtin. Andere Polizisten hatten vor Gericht Kritik an der Einsatzleitung verlauten lassen.

Richter kritisiert Polizei

Kritik an der Arbeit der Wiener Polizei übt auch jener Richter, der den Schöffenprozess gegen Josef S. geleitet hat. In der schriftlichen Urteilsbegründung, die derStandard.at vorliegt, bemängelt Thomas Spreitzer, dass die Polizei "ohne Anhaltspunkte davon ausgegangen" sei, dass "es sich bei den zum Teil getrennt agierenden Gruppen um eine gehandelt habe" - alle Straftaten im Rahmen der Demo seien einer einzigen Gruppe von Demonstranten angelastet worden, egal, wie weit die jeweiligen Schauplätze voneinander entfernt waren.

Auf 39 DIN-A4-Seiten legt Richter Spreitzer dar, warum er Josef S. in allen Punkten für schuldig hält. Dass mehrere Zeugen, die bei den Zwischenfällen am Stephansplatz dabei waren, nichts zu Josef S. sagen konnten, wird einmal als irrelevant, einmal hingegen als belastend bewertet: Ein ORF-Kameramann hatte angegeben, er habe den Angeklagten selbst zwar nicht wahrgenommen, könne sich aber erinnern, dass links und rechts neben ihm (also unweit des Angeklagten) Mistkübel gegen Beamte geworfen wurden.

Widersprüche

Obwohl der Kameramann Josef S. nicht gesehen hat, sei diese Aussage belastend für S., befand das Gericht. Weniger Gewicht verlieh das Gericht hingegen der Aussage eines STANDARD-Fotografen, der als Zeuge vor Gericht trat. Dieser könne "nichts zur Aufklärung der Tathandlungen des Angeklagten beitragen, weil er zu diesem keine konkreten Wahrnehmungen hatte", heißt es im Urteil.

Dabei steht die Aussage des STANDARD-Fotografen auch im Widerspruch zu jener des Belastungszeugen: Der Fotograf hatte gesagt, er habe es zu einem Zeitpunkt, als Josef S. laut Videoüberwachung noch auf dem Weg zum Ort der Polizeiwache war, bereits "Klirren hören" – es seien also bereits andere Demonstranten damit beschäftigt gewesen, die Fensterscheibe des Wachzimmers einzuschlagen. Laut Gerichtsurteil hatte Josef S. diese Sachbeschädigungen jedoch erst initiiert, andere Demonstranten seien dann seinem Beispiel gefolgt.

Bis 8. Oktober hat Josef S. Zeit, sein Rechtsmittel einzubringen. Bis die zweite Instanz entscheidet, dürften laut seinem Wiener Anwalt noch mehrere Monate vergehen. (Maria Sterkl, derStandard.at, 26.9.2014)