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Lederfransen im 70-er-Jahre-Look: Nicht nur Etro schwelgte in Erinnerungen.

Foto: reuters/garofalo

Die Diagnose war nach wenigen Tagen eindeutig: Ein Großteil der Kollektionen in Mailand blickte versonnen in die 1970er-Jahre. Die norditalienische Metropole war zu dieser Zeit unumstrittenes Mode-Mekka, Gucci der Inbegriff italienischen Glamours, den eine Liza Minnelli oder eine Sophia Loren verkörperten. Es sieht ein bisschen danach aus, als sehnten sich die italienischen Modehäuser in die goldene Ära der italienischen Mode zurück. Die Indizien? Wildleder, markante Krägen, knallige Farben und an vielen Ecken und Enden Fransen.

Wie bei Etro zum Beispiel. Zu "Riders on the Storm" von den Doors paradierte in der Via Piranesi eine lange Reihe Lederfransen tragender Models über den Laufsteg. Und bei Gucci wurden Oberteile geschnürt sowie Mantelkleider aus Wildleder in der Taille gegürtet.

Dabei haben die Designerinnen hinter den Kollektionen, Veronica Etro, Jahrgang 1974, und Frida Giannini, Jahrgang 1972, die 1970er-Jahre in Italien gerade einmal als Kinder erlebt.

Heute leidet der heimische Markt unter der Konsumkrise. Es sind vor allem die Exporte in die USA und nach Asien für die steigenden Umsätze in diesem Jahr verantwortlich, so der Präsident der Modekammer, Mario Boselli. Kein Wunder also, dass bei Gucci zwei international bekannte Gesichter, eine Britin und eine Monegassin, in der ersten Reihe saßen: Kate Moss ist das Aushängeschild der neu aufgelegten "Soft Jackie" -Tasche, Charlotte Casiraghi bewirbt die neue Kosmetiklinie von Gucci. Der Siebzigerjahre-Virus schien in Mailand über die gesamten fünf Tage allerdings hochgradig ansteckend. Unter den Infizierten: Cavalli, Alberta Ferretti, Pucci. Aber auch Ennio Capasa setzte für Costume National auf jede Menge Schnürungen, breite Gürtel mit übergroßer kreisrunder Schließe und Fransen bis zum Boden. Und das Designteam bei Max Mara blickte auf eine Kampagne von 1971 zurück. In der hatte Anjelica Huston für das Modehaus Modell gestanden. Das Ergebnis? Lange schlanke Silhouetten und Kleider, die den Models bis zur Wade reichen. Darauf feine schwarz-weiße Tupfen und Blumenmotive, über den Kleidern lange, locker fallende Mäntel und jede Menge Regenhüte im Schlapp-Look.

Eine konnte es mal wieder besser. Miuccia Prada schmuggelte zwar auch so manches Siebziger-Zitat in ihre Kollektion, brachte aber jede Menge zeitgemäße Brüche mit ins Spiel. Die bringen die Situation der italienischen Mode vielleicht am besten auf den Punkt. Die Britin Jane Reeve, seit Anfang dieses Jahres Geschäftsführerin des italienischen Modeverbandes, mag sich um Reformen bemühen, die Mailänder Mühlen scheinen allerdings langsam zu mahlen. Seit Jahrzehnten sind die Mode und die Medien von den alten Platzhirschen besetzt. Immerhin: Erstmals öffnete man sich drei Tage vor Beginn der Modewoche mit einem Filmfestival der Öffentlichkeit.

Glitzersteine und Bling-Bling

Und Miuccia Pradas Kommentar zu dieser Saison? Sie schickte ihre Models durch eine Dünenlandschaft aus aufgeschüttetem, violett eingefärbtem Sand. Ihre Mode spielte mit dem Gegensätzlichen, dem Kargen und dem Opulenten: Offene Säume, flatternde Fäden, simple Baumwolle kontrastierten mit glänzenden Brokatstoffen, hier und da glitzernden Diamanten am Ausschnitt. Eigentlich muss es nicht ausgeführt werden: Zwischen den Glitzersteinen von Prada und dem applizierten Bling-Bling auf den Jeanshosen des sizilianischen Modeduos Dolce & Gabbana liegen Welten. Ansonsten kreisten bei dem Duo über 80 Looks um Toreros und Flamenco.

Dann war da noch der mit Spannung erwartete Nachfolger von Jil Sander. Rodolfo Paglialunga hat lange für Prada und dann Vionnet gearbeitet. Jetzt krempelte er bei Jil Sander die Ärmel hoch. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die hemdsärmelige Annemarie Schwarzenbach stand Patin für seine erste Kollektion. Nach einer führungslosen Saison versuchte sich Paglialunga für das kommende Frühjahr an einer androgynen Armada an tiefrutschenden Culottes. Die hat vielleicht den aktuellen Geschmack der Moderedakteurinnen getroffen, die Kritik aber alles andere als umgehauen.

Am besten erging es ohnehin denen, die einigermaßen entspannt der eigenen DNA vertrauten. Versace hatte endlich wieder einmal einen knackig dynamischen Auftritt mit Medusen-Drucken und Sixties-Anleihen in petto, Thomas Maier schickte für Bottega Veneta die Models in eleganten Turnanzügen und flachem Schuhwerk an die Ballettstange. Und Marni, das Label, das am letzten Tag der Modewoche seinen 20. Geburtstag mit einem Blumenmarkt feierte, hatte am Morgen eine ziemlich frauenfreundliche Kollektion hingelegt. Designerin Consuelo Castiglioni steigerte sandfarbene, in der Taille mit langen Judogürteln zusammengehaltene Kleider und Tuniken aus Canvas zu blumigen Explosionen auf Mänteln, Röcken und Kleidern. Von allen Seiten überraschende Einschnitte und smart sportliche Rüschen.

Das zeigt der Nachwuchs

Und dann war da noch der Modenachwuchs, den es allen Unkenrufen zum Trotz auch in Mailand gibt. Die Riege an Mittdreißigern trifft in ihrer Farben- und Musterverliebtheit den Geschmack der Generation Instagram und den der Streetstyle-Fotografen, die auch in Mailand hinter den Models und den auffälligen Outfits hinterherjagten.

Stella Jean zum Beispiel arbeitet mit der Ethical Fashion Initiative des ITC zusammen. Sie zeigte Flagge mit einer gewohnt bunten Kollektion, diesmal bestehend aus bunten Shirts, Stoffen aus Mali und Burkina Faso und Schmuckstücken aus Haiti, der Heimat ihrer Mutter. Massimo Giorgetti ließ für sein Label MSGM Vögel über kurze Wickelröcke und bodenlange Kleider flattern. Und dann war da noch Arthur Arbesser. Der Österreicher wählte eine leerstehende Garage für seine Präsentation, die zum wiederholten Mal von Modekritikerin Suzy Menkes besucht wurde. Die hatte in ihrer Kolumne für Vogue Online gerade klargemacht: Die T-Shirts von Premier Matteo Renzi seien zeitgemäßer als all das Wildleder und die vielen Fransen auf der Mailänder Modewoche. Da mag sie nicht ganz unrecht haben. (Anne Feldkamp aus Mailand, DER STANDARD, 25.9.2014)