Jan Philipp Albrecht will ein europaweit einheitliches Datenschutzgesetz vorantreiben: "Jeder Tag, den wir länger warten müssen, ist ein Tag, an dem vor allem die Vorstände aus dem Silicon Valley und die anderer großer Internetkonzerne feiern."

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Google und Facebook fragen nicht lange nach, sie nehmen sich, was sie brauchen, so Albrecht.

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STANDARD: Sie gelten als scharfer Kritiker eines unkontrollierbaren Datenflusses. Kann man diesen denn überhaupt noch verhindern?

Albrecht: Prinzipiell schon. Voraussetzung sind aber entsprechende Regeln, mit denen wir Transparenz bei der Datenverarbeitung einfordern können und die eine individuelle Miteinschaltung ermöglichen.

STANDARD: Die "Googles und Facebooks" dieser Welt sind Ihnen ein besonderer Dorn im Auge.

Albrecht: Diese Internetkonzerne bauen ihr Geschäftsmodell weitgehend darauf auf, uns nicht mehr zu fragen, ob und welche Daten wir ihnen geben möchten. Sie bedienen sich einfach, ohne dass wir wissen, was damit geschieht oder ob die Daten sogar weiterverkauft werden.

STANDARD: Der 2012 gegründete Verein europe-v-facebook.org kann als Synonym für diese Undurchschaubarkeit gesehen werden.

Albrecht: Der Gründer des Vereins, der Österreicher Max Schrems, stellte 2011 ein Auskunftsersuchen an Facebook. Monatelang rührte sich nichts. Erst unter dem Druck der mittlerweile aufmerksam gewordenen Öffentlichkeit erhielt er eine DVD mit 1222 DIN-A4-Seiten. Und er wurde stutzig, denn er fand Daten, die er längst gelöscht hatte, darüber hinaus eine Fülle von Informationen über sein Leben, die er Facebook nie selbst anvertraut hatte - eindeutig Verletzungen des Datenschutzrechts. Der Fall liegt mittlerweile am Europäischen Gerichtshof.

STANDARD: Das heißt, es ist nahezu unmöglich, sich gegen die Vorgangsweisen dieser Firmen zu wehren?

Albrecht: Zumindest ist es sehr, sehr schwierig. Zum einen sind vermeintlich gelöschte Daten immer noch da. Zum anderen geben nicht wenige Internetunternehmen diese auch weiter. Mitunter geraten die Daten sogar in den Zugriffsbereich der NSA. Aber es sind auch die kleinen Helfer der IT-Wirtschaft, die mit Geräten, Programmen, Apps und Dienstleistungen einen ganzen Haufen an Daten von uns erheben, aufbewahren und weitergeben.

STANDARD: Sie gehen so weit, zu sagen, wir würden uns zu Mitarbeitern von Google machen. Was meinen Sie konkret?

Albrecht: Tatsächlich arbeiten wir für Google, ohne es zu merken, indem wir dessen Algorithmus tagtäglich mit unseren Daten füttern - freiwillig und unentgeltlich. Jeder Klick, jede Eingabe führt zur automatisierten Selbstverbesserung des Systems.

STANDARD: In jedem Land Europas ist der Datenschutz anders geregelt.

Albrecht: Genau da liegt das Problem. Es gibt 28 unterschiedliche Rechtsordnungen, beste Voraussetzungen also für einen Konzern, sich jenes Land herauszupicken, das ihm auch die besten Bedingungen bietet. Irland ist ein gutes Beispiel. Durch seine Dumpingpolitik wollte das Land seine marode Wirtschaft wieder in Gang bringen und schuf damit optimale Ansiedelungsbedingungen für internationale IT-Unternehmen wie Apple, Facebook oder Google. Steuerrechtliche Gründe spielen da natürlich auch hinein.

STANDARD: Wie kann man gegensteuern?

Albrecht: Wir brauchen ein europaweit einheitliches Datenschutzgesetz, das von Unternehmen nicht umgangen werden kann. Der Verbraucher muss zudem die Möglichkeit haben, sich schneller und einfacher zu informieren oder sich zu beschweren. Gleichzeitig sollen Datenaufsichtsbehörden Werkzeuge bekommen, um jenen, die diese Regeln verletzen, tatsächlich wehzutun - ein scharfes Sanktionsregime. Auf Google könnte dann bei weiterem Datenmissbrauch beispielsweise ein Bußgeld in Höhe von fünf Prozent des Jahresweltumsatzes zukommen.

STANDARD: Wann kommt die neue Verordnung?

Albrecht: Im Jänner 2012 hat die EU-Kommission bereits einen Vorschlag eingebracht, den das Parlament im heurigen Frühjahr verabschiedet hat. Nun braucht es noch die Zustimmung der Regierungen. Die endgültige Verabschiedung des Gesetzes ist im Laufe des nächsten Jahres geplant. Die Zeit drängt: Jeder Tag, den wir länger warten müssen, ist ein Tag, an dem die Vorstände aus dem Silicon Valley und die anderer großer Internetkonzerne feiern, weil sie weiter auf Datenverarbeitung auf unsere Kosten setzen können.

STANDARD: Das ist reichlich spät.

Albrecht: Wir haben schon sehr viel Souveränität und Entscheidungsfreiheit an Datensammler abgegeben. Beides müssen wir uns zurück erkämpfen, um zu verhindern, dass wir vollends den Algorithmen und Maschinen ausgeliefert sein werden. (Sigrid Schamall, DER STANDARD, 30.9.2014)