Zugegeben, der Erfolg des großen "V" war schon länger zu beobachten. Denn das sucht regelmäßig die Nähe des Blitzlichtgewitters. Legt auf den Wiesn-Veranstaltungen landauf, landab die Carmenbluse die Schultern und noch ein bisschen mehr frei, taucht auf den roten Teppichen ständig der tief gehängte V-Ausschnitt auf. Darunter meist nicht mehr als bloße Haut.
Die wahrscheinlich überzeugteste Trägerin der schnittigen Einblicke: Kim Kardashian. Die lässt die Roben ihren Körper so modellieren, dass auch die Kurven darunter nicht ins Hintertreffen geraten. Deshalb ist ihr bei Auftritten in der Öffentlichkeit das "V" auch immer wieder ein treuer Begleiter. Mit dessen Hilfe bekommt ein Kleid von Balmain, im Lookbook eine recht flache Sache, nämlich plötzlich eine völlig neue Bedeutung. Und jede Menge Aufmerksamkeit.
Allerdings darf man dem V-Ausschnitt auch nicht unrecht tun. Er ist ja an sich kein billiger Effekthascher, der ausschließlich mit bodenlangen Abendroben gemeinsame Sache macht. Er hängt sich gerade immer wieder an ganz schlichte Pullover ran. Bestes Beispiel: das Modell "Talia" des US-amerikanischen Labels Rag & Bone, das es im Internet zu einer ungeheuren Popularität gebracht hat. Kaum eine Modebloggerin ist um ihn oder eine günstigere Variante herumgekommen.
Der Sweater sieht dabei aus wie eine Adaption eines Tennispullovers aus den Zwanzigern, wie ihn der amerikanische Tennisspieler Bill Tilden auf dem Platz trug: mit farblich abgesetzten Streifen entlang dem Ausschnitt.
Der spielte bei Tilden allerdings keine so einschneidende Rolle wie bei den Frauen, die ihn heute ausführen. Tilden trug schließlich immer noch was drunter. Wie beiläufig das "V" aber in den Mittelpunkt des Interesses rücken kann, hat wohl am schönsten Marilyn Monroe vorgeführt. Vor der Kamera ihres Vertrauten Milton Greene zeigte sie in einem halbärmeligen Tennispullover, was der V-Ausschnitt so alles kann – ohne auf die Kardashian-Strategie zu setzen. Das "V" ist eben doch am schönsten, wenn es eine Andeutung bleibt. Alles andere dürfen dann gerne Kim und die roten Teppiche im Blitzlichtgewitter miteinander ausmachen. (Anne Feldkamp, derStandard.at, 24.9.2014)
Eine Auswahl aktueller Modelle