Ein Protagonist, der lustvoll leidet, aus "Im Keller". An diese Szene schließt übrigens das Gelage im "Nazi-Keller" an.

Foto: Stadtkino Filmverleih

Wien - Bei der Weltpremiere Ende August in Venedig wurde Ulrich Seidls neuer Film Im Keller fast schon routiniert aufgenommen: Es gab nur vereinzelt kritische Stimmen, viele Lacher im Publikum, da und dort mokierten sich internationale Kritikerkollegen ein bisschen über die Österreicher und ihre seltsamen Vorlieben.

In Österreich selbst sieht das wenige Tage vor Kinostart ganz anders aus. Hat die Aufregung den Regisseur überrascht? "Irgendwie schon. Das war nicht vorauszusehen. Ich bekomme seit Tagen immer wieder Textnachrichten, die mir zum Medienrummel um den ,Nazi-Keller' gratulieren, weil sie meinen, dass es für den Film keine bessere Werbung geben könnte. Meine Gefühle dazu sind jedoch ambivalent."

Wie jedes Seidl-Projekt hatte auch sein jüngstes eine lange Inkubationszeit, die Recherche begann 2008. Menschen zu finden, die ihre Keller öffnen, sei nicht leicht gewesen. Zumal Seidl Hobbykeller-Standards wie Modelleisenbahnanlagen weniger interessierten: "Ich habe natürlich gewusst, dass man das finden wird, Eisenbahnen, wahnsinnig viele Sammler: Bierdeckelsammler, Spielautomatensammler, Biergläsersammler - alle möglichen Spielarten gibt es da. Aber das sind keine menschlichen Abgründe - oder vielleicht sind das auch welche, aber für mich zu banal. Insofern wusste ich, ich suche Leute, die bereit sind, eine Form von Obsession, etwas Abgründiges zu zeigen."

Allerdings nicht um des Abgründigen als Selbstzweck willen, sondern gemäß der Grundthese, dass sich darin nur etwas von jenem Abgrund zeigt, den der Mensch als solcher in sich trägt. In diesem Sinne treten nun auf: ein sangesfreudiger Schießstandbesitzer und ein Großwildjäger; eine strenge Herrin und ihr "Ehesklave", eine Masochistin und ihr Partner; ein Paar, das wilde Zeiten im längst verwaisten Partykeller vermisst, oder eben der Besitzer jenes unter anderem mit Nazidevotionalien dekorierten Areals, das jetzt zum Keller des Anstoßes mutierte.

Seidl sagt, es sei nie seine Absicht gewesen, "die betroffenen Protagonisten des Films einer Medienhetze oder einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen. Es ging mir nicht um den Einzelnen, der sich unterm Hitlerbild zu einer feuchtfröhlichen Runde zusammenfindet. Es ging mir darum, die 'Normalität' des Ganzen zu thematisieren. Fast alle Leute aus der Ortschaft wissen von dem 'Nazi-Keller', viele waren auch schon dort. Für die Musiker der örtlichen Musikkapelle war es ganz normal, dort zu verkehren."

Auftritt mit Folgen

Der Umstand, dass es dazu nun Filmbilder gibt, hatte für zwei von fünf darauf zu Sehenden bekanntlich Rücktritte von ihren politischen Funktionen zur Folge. In der jüngsten Wendung berufen sich die beiden Männer laut der Wochenzeitung BVZ nun aber auf die Verträge, die sie mit der Produktionsfirma abgeschlossen haben - und zwar, um damit zu belegen, dass sie "bezahlte Statisten" gewesen wären.

Seidl sagt dazu, er "verstehe zum Teil, dass die Genannten jetzt versuchen, ihre Haut zu retten und die Dinge anders darzustellen, als sie wirklich waren. Aber es ist leider die Unwahrheit." Bei den Verträgen handele es sich um so genannte "Statistenzettel", die aber alle unterfertigten, die bei seinen Filmen mitmachen. Damit wird der Erhalt einer "Aufwandsentschädigung" bestätigt und gleichzeitig eine "Einverständniserklärung" abgegeben.

Die Szene, aus der das nun überall publizierte Standfoto stammt, dauert insgesamt knapp drei Minuten. Sie taucht nach einer Stunde im Film auf. Und zwar in zwei Teilen, von denen der Zweite das alkoholisch entgleisende Finale eines Gelages darstellt, das zuerst mit einem zünftigen "Ein Prosit" und Herrenwitzen über die (abwesende) Frau des Hauses begonnen hat.

Den burgenländischen Keller hat der Zuschauer schon viel früher im Film kennengelernt. Wie den Hausherrn, der dort neben seiner Leidenschaft für Blasmusik auch dem Sammeln von Nazidevotionalien frönt - Nachbarn und Musikkollegen kommen gerne, erzählt er in die Kamera, auch die Polizei war schon da. Und hat offenbar nichts strafrechtlich Relevantes finden können.

Von Wirklichkeit ausgehend

Dass über diesen Umstand nun geredet wird, ist grundsätzlich nicht schlecht. Auch landläufige Annahmen über den Dokumentarfilm lassen sich bei dieser Gelegenheit berichtigen: Ulrich Seidl hat diese Kategorisierung für seine Arbeiten immer schon problematisiert - über Im Keller sagte er in Venedig, das sei ein Film, der die Wirklichkeit als Ausgangspunkt nimmt für Bilder und Szenen. Seine strengen Arrangements von Menschen in Bezug auf Räume etwa vermitteln seit jeher deutlich, dass ein Regisseur hier ordnend, im Sinne seiner Filmsprache eingegriffen hat.

Auch wurden, in Übereinstimmung mit einzelnen Protagonisten oder in Weiterführung von deren Fantasien, manche Keller für den Film eingerichtet - im Fall des "Nazi-Kellers" verneint Seidl dies aber klar: "Ich habe dort überhaupt nichts hineingetragen oder gebaut. Alle Utensilien, alle Relikte, die man im Bild sieht, sind direkt vom Besitzer. Natürlich richtet man für die Kamera bestimmte Dinge ein - zum Beispiel wird der Tisch von links nach rechts geschoben. Oder der Luster ein bisschen höher gehängt, weil er sonst ins Bild hinein hängt."

Grundsätzlich arbeitet Seidl auch mit Im Keller weiter an seinem Panorama der Verwerfungen der Gegenwart: "Ich mache Filme für erwachsene Zuschauer und ich thematisiere etwas, stelle etwas dar, das es zu hinterfragen gilt. Ich will nicht belehren, ich würde auch daran scheitern, wenn ich behaupten würde: So ist die Welt und nicht anders - sie ist eben viel ambivalenter. Ich glaube, ich kann etwas erreichen, wenn ich den Zuschauer damit konfrontiere. Aber wie er damit umgeht, das liegt in seiner Verantwortung." (Isabella Reicher, DER STANDARD, 24.9.2014)