Wie haben wir das vor rund 20 Jahren nur geschafft, zehntausende bosnische Kriegsflüchtlinge aufzunehmen - auf Dauer?

Die Zahlen: Nach dem 1992 losgebrochenen Sezessionskrieg in Bosnien-Herzegowina und vor allem nach dem Massaker von Srebrenica 1995 (8000 muslimische Männer und Jugendliche durch die Streitkräfte der bosnischen Serben und durch serbische Paramilitärs ermordet) kamen binnen ein, zwei Jahren rund 90.000 Flüchtlinge nach Österreich. Wer damals in Niederösterreich über die Lande fuhr, fand in fast jedem Pfarrhof eine bosnisch-muslimische Familie. Die Regierungen Vranitzky/Busek und Vranitzky/Schüssel, die Behörden und viele Private bewältigten diesen Ansturm ohne das heute übliche Herumgezerre.

Bei der Volkszählung 2001 lebten 104.000 bosnische Staatsbürger im Land. Durch Zuerkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft (heute stark gebremst), Geburten, Todesfälle und Rückwanderung kam es zu Verschiebungen (seither wird nicht mehr nach Religion gezählt). Heute leben laut Integrationsbericht rund 135.000 Personen mit bosnischem "Migrationshintergrund" (beide Eltern im Ausland geboren) in Österreich.

Nach Österreich sind damals hauptsächlich Muslime geflohen. Rund 50.000 Muslime mit bosnischer Staatsbürgerschaft leben hier, unter den eingebürgerten Bosniern dürfte es wahrscheinlich noch einmal so viele Muslime geben. Die Bosnier hierzulande sind viel weniger in der Diskussion als andere Einwanderer, etwa die Türken. Erst seitdem zwei muslimische Teenagermädchen bosnischer Herkunft in den Jihad gezogen sind, beginnt man sich für diese Gruppe zu interessieren.

Aber Faktum bleibt, dass noch vor 20 Jahren für diese fast 100.000 Flüchtlinge relativ leicht Quartier zu finden war. Und das, obwohl Jörg Haiders Ausländervolksbegehren vom Jänner 1993 auch durch den Zustrom aus Bosnien motiviert war.

Haben sich die Menschen seither zum Schlechteren gewandelt? Oder sind die Regierenden einfach viel ängstlicher geworden?

Es gibt zweifelsohne so etwas wie Mitleidsermüdung. Der Krieg in Ex-Jugoslawien war relativ nahe, die Kriege im Nahen Osten und die Elendssituation in Afrika sind relativ fern. Ein Motiv war bei der Protestversammlung am Semmering zu hören: "Da kommen ja keine Familien, sondern lauter junge Männer", rief eine Frau. Junge Männer aus Konfliktgebieten, muslimische junge Männer ohne Zukunftsperspektive, Ausbildung und Arbeitsmöglichkeit werden als bedrohlich empfunden - nicht ganz zu Unrecht. Die Bosnier damals kamen als Familien - und sie integrierten sich. Junge Männer aus kriegerischen Gesellschaften und "failed states" wie Somalia oder Tschetschenien haben es da wohl schwerer.

Die Stimmung gegenüber Flüchtlingen hat sich im Vergleich zu den frühen 1990ern zweifellos stark verschlechtert; aber wohl noch viel schlechter ist die Kompetenz von Regierung und Behörden geworden, mit dem Phänomen umzugehen. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 24.9.2014)