Erinnern Sie sich an den Plan D? Der "Plan D" war eine PR-Maßnahme der EU-Kommission nach der Ablehnung des EU-Verfassungsvertrags in zwei Referenden in Frankreich und den Niederlanden 2005. Er diente wörtlich der "Wiederherstellung des Vertrauens der Öffentlichkeit in die EU". Dies sollte erreicht werden, indem "dem Bürger die Informationen und die Instrumente an die Hand gegeben werden, um aktiv am Entscheidungsfindungsverfahren teilzunehmen und Teilhaber des europäischen Einigungswerks zu werden." Nachsatz: "Dieser demokratische Erneuerungsprozess bedeutet, dass die EU-Bürger das Recht haben müssen, dass ihre Belange wahrgenommen werden." 2005 erhielten "die EU-Bürger" von der Kommission (!) das Recht, dass ihre Belange wahrgenommen werden. Es schlug 13 in Brüssel.

Was darauf folgte, floss aus einem anderen Geist: Zuerst wurde der zu 95 Prozent wortidente Lissabonvertrag durchgesetzt - ohne Volksabstimmungen. So konnten jene Länder, die beim Verfassungsvertrag noch zwingend Volksabstimmungen durchzuführen hatten, diese umgehen. Sodann folgten EFS, EFSF, ESM, Fiskalpakt, Wettbewerbspakt, Bankenunion und nun die Geheimverhandlungen zu CETA und TTIP. Keiner dieser "Belange" resultierte aus artikulierten Bedürfnissen der Bevölkerung. Trotzdem oder gerade deshalb wollen sich die BürgerInnen beteiligen. Die einzige formale Möglichkeit: die Europäische BürgerInneninitiative - eine Version des Volksbegehrens, über deren Zulässigkeit jedoch die Europäische Kommission entscheidet.

Auf Initiative von "Mehr Demokratie Deutschland", Campact und dem Umweltinstitut schlossen sich 240 Organisationen aus 21 EU-Mitgliedsstaaten zusammen, um dieses "Instrument" zu nutzen. Ziel der Initiative ist, dass die Kommission dem Europäische Rat den Abbruch der CETA- und TTIP-Verhandlungen empfiehlt.

Doch am 10. September blockierte die Kommission die Initiative, mit der Begründung, dass nur "Rechtsakte", die EU-Recht verändern, Gegenstand einer EBI sein dürfen. Außerdem sei es "unzulässig", dass BürgerInnen die Kommission aufforderten, einen Rechtsakt nicht zu setzen, das Verhandlungsmandat für TTIP seitens des Rates stelle "keinen Rechtsakt" dar. Doch laut Artikel 288 AEUV handelt es sich bei Ratsbeschlüssen sehr wohl um Rechtsakte: "Ihr Kennzeichen ist, dass sie rechtlich verbindlich sind", erklärt der Völkerrechtler Bernhard Kempten der Uni Köln in einem Gutachten. Die Kommission gibt mit ihrem Njet den BürgerInnen zu verstehen, dass sie gegen Beschluss und Mandat nichts unternehmen dürfen. Erst wenn die zähen Verhandlungen abgeschlossen und der Vertrag ratifiziert ist, dürften sie - nach jahrelangem Zuschauen - initiativ werden: absurd. Plan "D" steht nicht dafür, dass die "Belange der Bürger" wahrgenommen werden, sondern für die Demütigung des Souveräns.

Die Unterdrückung der Bürgerinitiative ist nicht die erste Machtpose der Kommission im Zuge des TTIP-Prozesses. Den Abgeordneten des Europaparlamentes werden aktuell in kleinen Kreisen "konsolidierte Fassungen" des Verhandlungszwischenstands zwischen EU und USA wie in einem Bond-Film nur in eigenen "Leseräumen" ohne Papier, Bleistift, Handy zugänglich gemacht. Diese entwürdigende Posse bringt die Machtverhältnisse in Brüssel auf den Punkt: Die Kommission, das demokratisch am schwächsten legitimierte Organ in Brüssel, entscheidet, was die direkt Gewählten dürfen und was nicht. Während einige der ParlamentarierInnen diese Willkür kritisieren, schweigen die - mandatserteilenden - Regierungen im Chor.

Die Angst vor den BürgerInnen muss beim Rat und der Kommission groß sein, dass sie sich solche Abschottungsmanöver leisten. Machtpolitik, die im krassen Widerspruch zur eigenen PR-Propaganda steht, wird den Widerstand gegen TTIP und CETA weiter wachsen lassen. Die InitiatorInnen werden jedenfalls gegen die Kommissionswillkür vor dem Europäischen Gerichtshof klagen und die Initiative ohne Erlaubnis "von oben" fortführen: eine "echte EBI"!

Wie sähe ein demokratischer Verhandlungsprozess aussehen? 1.) Die Souveräne geben in den Grundlagenverträgen die Ziele für internationale Wirtschaftsabkommen vor, z. B. nachhaltige Entwicklung, Verringerung der Ungleichheit, Stärkung von sozialem Zusammenhalt und Demokratie. 2.) Nationale und europäische Parlamente erteilen auf Basis dieser Ziele Verhandlungsmandate. 3.) Das Verhandlungsmandat wird vom Verfassungsgerichtshof geprüft und bei Nichtübereinstimmung mit den Verfassungszielen - dient TTIP der Umsetzung der Menschenrechte, gerechter Verteilung, Ressourcen- und Klimagerechtigkeit, Stärkung der Demokratie? - annulliert. 4.) Bei grünem Licht laufen die Verhandlungen transparent nach Regeln ab, die verfassungskonform sind. 5.) Das Ergebnis wird den Souveränen zur Abstimmung vorgelegt. In ihrem Namen werden völkerrechtliche Verträge verhandelt. Wer wenn nicht der Auftraggeber soll über das Ergebnis entscheiden?(Christian Felber Alexandra Strickner, DER STANDARD, 23.9.2014)