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Der neue türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu und seine Ehefrau Sare begrüßen die aus der Hand der IS-Miliz befreiten Landsleute – perfekt inszeniert mit Kindern im Arm.

Foto: EPA/TURKISH PRIME MINISTER PRESS OFFICE HANDOUT

Ankara/Sofia – Sie sind die Helden der Türkei. Als Yilmaz Öztürk, der türkische Konsul, und seine Mitgefangenen nach 101 Tagen Geiselhaft die Gangway der türkischen Präsidentenmaschine auf dem Rollfeld in Ankara herunterkommen, ist das innenpolitisch so tief gespaltene Land mit einem Mal vereint.

In einer seltenen Geste der Versöhnlichkeit gratulierte der türkische Oppositionsführer Kemal Kiliçdaroglu am vergangenen Samstag dem Regierungschef für die erfolgreiche Befreiungsaktion der 46 türkischen Geiseln aus der Hand der gefürchteten sunnitischen Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien.

Ahmet Davutoglu, der Regierungschef und frühere Außenminister, hatte im Flugzeug seinen Konsul Öztürk wie einem verlorenen Sohn dreimal auf die Stirn geküsst. Dass Davutoglu selbst für das Erstarken der IS in Syrien und im Irak mitverantwortlich gemacht wird, vor allem aber für die Fehleinschätzung der Sicherheitslage in der nordirakischen Region um Mossul in diesem Sommer, ist die ironische Seite dieses Moments.

Im Juni entführt

Öztürk und 48 Bedienstete des türkischen Konsulats in Mossul – darunter drei Iraker – und deren Angehörige wurden am 11. Juni von IS-Kämpfern entführt. Am Tag zuvor hatte die Terrormiliz die Großstadt im Sturm eingenommen.

Dass Öztürk im Vorjahr überhaupt auf den Posten nach Mossul entsandt wurde, soll Diplomaten im türkischen Außenministerium verwundert haben. Zwei Monate nach Amtsantritt, im September 2013, wird das erste Bombenattentat auf den Konsul verübt; im Mai dieses Jahres entkommt Öztürk einem zweiten Angriff.

Als die IS-Milizionäre von Syrien aus in den Irak vorstoßen, lässt der damals noch als Außenminister amtierende Davutoglu das Konsulat nicht evakuieren. Die Devise lautet: Islamisten werden Vertretern der Türkei nichts antun, die ja ebenso wie der IS den Sturz des Regimes von Bashar al-Assad will.

Pistole an den Kopf gehalten

An acht verschiedenen Orten sollen die türkischen Geiseln dann im Lauf der vergangenen Wochen untergebracht worden sein. Oft in dunklen Räumen ohne Licht, wie der Konsul nach seiner Befreiung berichtet; körperlich seien sie nicht misshandelt worden. Doch ein Mitgefangener erzählte, die IS-Kämpfer hätten Öztürk mehrmals eine Pistole an den Kopf gehalten, um ihn zum Verlesen einer Videobotschaft zu zwingen; der Konsul soll sich geweigert haben. Um deren Moral zu brechen, hätten die fundamentalistischen Entführer ihren Geiseln auch Videoaufnahmen von den Enthauptungen der beiden verschleppten Amerikaner James Foley und Steven Sotloff gezeigt.

Die Regierung hatte den nationalen türkischen Medien per Gerichtsbeschluss eine Berichterstattung über die Geiselnahme verboten. Damit sollten Ankaras Verhandlungen mit den Entführern nicht gestört werden – und gleichzeitig könnte so das für die Regierung unangenehme Thema kleingehalten werden.

Verzögerungen bei Übergabe

Fünfmal hatte der türkische Geheimdienst positive Antworten von den Islamisten erhalten, wurde nun bekannt. Eine Übergabe der Geiseln war zuletzt für vergangenen Donnerstag an der syrisch-türkischen Grenzstadt Tel-Abyad vereinbart. Die 46 türkischen Geiseln wurden an jenem Tag auch tatsächlich in zwei Bussen 450 Kilometer weit von Mossul in die IS-Hochburg Raqqa in Nordsyrien gefahren, begleitet von bewaffneten Kämpfern; die drei irakischen Geiseln wurden zuvor in Mossul freigelassen.

Lösegeld sei nicht bezahlt worden, versicherte die türkische Regierung im Nachhinein. Als sich dann in Tel-Abyad eine weitere Verzögerung abzeichnete – möglicherweise wegen der andauernden Kämpfe zwischen Islamisten und syrischen Kurden im Gebiet –, griff ein Kommando des türkischen Geheimdiensts ein: Die Geiseln wurden in der Nacht auf Samstag befreit und am Morgen dann über die Grenze nach Şianlurfa gebracht. Dort wartete Regierungschef Davutoglu mit der Maschine nach Ankara. (Markus Bernath, DER STANDARD, 22.9.2014)