Ein scharfer Kamm markiert die Grenze zwischen Österreich und Italien: Gertrude Reinisch-Indrich auf dem Karnischen Höhenweg.

Foto: Christine Eberl

Salzburg - Da sage noch jemand, alles hätte bereits irgendwer, irgendwann getan, es gebe die Abenteuer vor der sprichwörtlichen Haustüre nicht mehr: Seit 31. Mai dieses Jahres sind Gertrude Reinisch-Indrich und Christine Eberl dabei, Österreichs Staatsgrenze so exakt wie nur möglich abzugehen oder mit dem Rad zu befahren. "Grenzgänge 2014" nennen die beiden ihr Projekt der Umrundung Österreichs im Uhrzeigersinn mittels eigener Körperkraft.

Allein schon die nackten Daten ringen Respekt ab. Die Strecke kommt auf rund 3.200 Kilometer. Das entspricht, grob gerechnet, immerhin dreimal der Autofahrt Wien-Rom. Und noch ein Vergleich: Die von Reinhold Messner und Hans Kammerlander von großem Medienrummel begleitete Umrundung Südtirols in den 1990er-Jahren kam auf 1.200 Kilometer. In Summe müssen die zwei Frauen zirka 120.000 Höhenmeter bewältigen. Die 62-jährige Journalistin Reinisch-Indrich und die 57-jährige Lehrerin Eberl haben dafür rund 120 Tagesetappen einkalkuliert.

Der aktuelle Status: "Wenn das Wetter mitspielt, haben wir gute Chancen, Ende September wieder in Salzburg einzutreffen", berichtet Reinisch-Indrich telefonisch dem STANDARD an einem der wenigen Rasttage. Gelingt das Unternehmen, wären die "Grenzgänge 2014" die erste erfolgreiche Expedition entlang der Grenzen der Zweiten Republik.

Zwei Jubiläen

Bis zum Beginn des Abbaus der Grenzanlagen zur damaligen Tschechoslowakei und zu Ungarn vor 25 Jahren wäre eine derartige Unternehmung freilich überhaupt nicht möglich gewesen. Die unter Patronanz des Österreichischen Alpenklubs und unter dem Ehrenschutz aller neun Landeshauptleute laufenden "Grenzgänge" wollen auch an dieses Jubiläum erinnern. Einer der Landeshauptleute war übrigens schon 1994 bei der Verabschiedung der Frauenexpedition dabei: der Niederösterreicher Erwin Pröll. Irgendwelche Kontinuitäten muss es in bewegten Zeiten offensichtlich geben.

Der zweite Anlass ist nicht geopolitisch, sondern alpinhistorisch: Vor 20 Jahren war die 1. Österreichische Frauenexpedition zum 8.013 Meter hohen Shisha Pangma in China unterwegs. Expeditionsleiterin damals war Gertrude Reinisch-Indrich. Und auch Christine Eberl war schon mit von der Partie. Im Zuge der Frauenexpedition 1994 schaffte Edith Bolda als erste Österreicherin die Besteigung eines Achttausenders.

"Viele der Bergsteigerinnen von damals wollten wieder einmal etwas Größeres miteinander unternehmen", erzählt Reinisch-Indrich von den Vorbereitungen. Und so haben einige die beiden Hauptprotagonistinnen der "Grenzgänge" auf einzelnen Abschnitten begleitet oder an der logistischen Vorbereitung mitgeholfen. Insgesamt sind rund 50 Personen als streckenweise Begleiter, als Berater, Planer oder zur Dokumentation im Team.

Auffallend dabei: Das Kernteam bilden sogenannte "Best Ager", Menschen jenseits des Fünfzigers. Als besonderes Statement für diese Generation wollen Reinisch-Indrich und Eberl ihre Tour aber nicht verstanden wissen (siehe Interview unten). Bestenfalls sei das der Beweis, dass auch Menschen jenseits der fünfzig oder sechzig zu ungewöhnlichen Ausdauerleistungen fähig seien.

Einsamer als im Himalaja

Wer so wie Reinisch-Indrich und Eberl mit dem geringstmöglichen ökologischen Fußabdruck, in einer dem menschlichen Maß entsprechenden Geschwindigkeit in den Grenzgebieten unterwegs ist, findet sich naturgemäß in den entlegensten Winkeln des Landes wieder. Die Unterschiede könnten nicht größer sein, meint Reinisch-Indrich. Während in Westösterreich viele Gebiete touristisch gut erschlossen seien, "waren wir im Osten größtenteils einsamer als im Himalaja".

Die zwei Frauen zeichnen im STANDARD-Gespräch ein recht düsteres Bild von diesen Regionen: "Es gibt so gut wie keine Infrastruktur, es fehlt an Geschäften, es fehlt an Gasthäusern." Man könne Grundstücke und Gebäude sonder Zahl kaufen, "offen hat aber nichts".

Das Sagen dürfte hier die Jägerschaft haben, vermutet Reinisch-Indrich. In Niederösterreich sei ein großer Teil des Grenzverlaufes mit meterhohem Gras verwachsen, nahe der Grenze dann ein einziger riesiger Wildzaum. Bedrückender Vergleich: "Dazwischen alle einhundert Meter ein Hochstand. Das schaut fast so aus wie früher einmal die Wachtürme."

Verlassene Gebiete gibt es allerdings auch weiter westlich: In Osttirol hatten die zwei Alpinistinnen zwischen den verschiedenen Raststationen oft auch einen ganzen Tag lang "keine Menschenseele" getroffen. Beinahe alle Almwirtschaften seien inzwischen verlassen, bilanziert Reinisch-Indrich ihren Eindruck von der Osttiroler Grenze.

Sprachen trennen Europa

Ein wesentlich größeres Hindernis als ursprünglich angenommen war für die Grenzgängerinnen die Sprachbarriere. Zwar fällt diese nun von Südtirol bis Salzburg (die aktuelle Position kann über einen Livetracker auf www.grenzgaenge.com abgefragt werden) weg, aber weiter östlich stellten die Sprachunterschiede die zwei vor große Probleme. So seien die Markierungen im slowenisch-steirischen Raum oft so schlecht, dass es notwendig war, Einheimische nach dem Weg zu fragen. Aber schon wenige Meter hinter der Grenze sei man mit Deutsch oder Englisch nicht mehr weitergekommen, erzählen Reinisch-Indrich und Eberl.

Aber auch auf der italienischen Seite, im Friaul, hätten sie diese Beobachtung gemacht. Fazit aus Sicht von Reinisch-Indrich: "Das Trennendste in Europa sind die Sprachen." Es sei notwendig, dass in Österreich verstärkt slawische Sprachen gelehrt werden. In jenen Tagen, an denen sie von der in Belgrad aufgewachsenen Bergsteigerin Marion Feik begleitet wurden, "war die Verständigung mit Tschechen oder Slowaken gar kein Problem". (Thomas Neuhold, DER STANDARD, 22.9.2014)