Michael Wittemborn als deutsch-brasilianischer Philosophieprofessor.

Foto: Klaus Lefebvre

Hamburg - Sind Österreicher und Schweizer mitgemeint, wenn die österreichische Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek Variationen über das Thema deutsches Wesen, deutsche Kritikfähigkeit, deutsche Einzigartigkeit vorführt? Werden "die Deutschen" dann vielleicht sogar als Gegensatz zu den Österreichern gedacht? Schwer zu sagen. Denn in "Strahlende Verfolger", ihrem Auftragsstück für das Deutsche Schauspielhaus Hamburg, geht es gar nicht um Europa, sondern um Deutschbrasilianer; um Deutsche, die nach Lateinamerika ausgewandert sind. Intendantin Karin Beier, die zunächst in Köln und nun auch in Hamburg postmigrantische Themen immer wieder in ihren Spielplan einbindet, hat den Blick umgedreht und nun einmal Deutsche, die in die Fremde ausgewandert sind, und deren Nachkommen in den Mittelpunkt gestellt. Hamburg war im 19. Jahrhundert einer der größten Auswandererhafen.

Menschenausstellung

Für die theatralische Ausführung ihres eingereichten Textes wünscht Elfriede Jelinek "gehörigen Widerstand" und gibt als Anregung eine ziemlich ausgefallene Regieanweisung: "Vielleicht von einem Kind abgelesen von einem Smartphone!" So weit ist Regisseurin Karin Beier nicht gegangen.

Drei Museumswärterinnen (Florence Adjidome, Mariana Senne, Kathrin Wehlisch) spielen Jelineks Textvorgabe. Zunächst wird das Theater aber für das deutsch-brasilianische Theaterprojekt "Pfeffersäcke im Zuckerland" zum Ausstellungsraum (Raum: Johannes Schütz). So weit wie beim berühmten Hofmohren Angelo Soliman, der nach seinem Tod ausgestopft im Kaiserlichen Naturalienkabinett zu bestaunen war, geht man in Hamburg zwar nicht, doch in zehn Glasvitrinen sind als ethnologische Sammlung zehn Deutschamerikaner ausgestellt.

Es sind natürlich Schauspieler, die unterschiedliche Ausprägungen dieser Ethnie verkörpern. Man kann auch ihren Erzählungen lauschen. Bei der Gaderobe werden dem Besucher Kopfhörer ausgehändigt; man muss nur die jeweilige Vitrinennummer eintippen, um das Ausstellungsobjekt erzählen zu hören. Es sind Sängerinnen, Theologen, Militärberater, Geschäftsleute, zumeist trauern sie dem alten Deutschtum nach oder fühlen sich als kritische Geister den gefühlsbetonten Ureinwohnern überlegen.

Das 7:1, das Deutschland gegen Brasilien bei der Fußballweltmeisterschaft errang, hat den deutschbrasilianischen Philosophieprofessor (Michael Weber) bestätigt. Die Integration ist hier noch nicht so weit. Eine inzwischen über 90 Jahre alte Farmerin (Ute Hannig) erzählt stolz, wie ihr Großvater einst Indianer im Urwald tötete, um dadurch gekidnappte deutsche Kinder zu befreien. Zwar sind die Biografien, die im Museumsführer (also im Programmheft) nachzulesen sind, viel widersprüchlicher als die sie bisweilen denunzierenden Geschichten, doch die Spiellust der Schauspieler macht Spaß.

Da man wählen kann, wem und wie lange man zuhören will, bleibt man auch bei einigen Vitrinen hängen und bekommt in der allzu kurzen Zeit des Rundgangs keinen zusammenhängenden Überblick. So ähnlich geht es allerdings auch mit Elfriede Jelineks Text, den nun ein Museumswärterinnen-Terzett, manchmal in atemberaubender Geschwindigkeit, manchmal mit ausländischer Dialektfärbung, musiziert.

Zündet nur selten

Hin und wieder lässt man sich als Zuschauer von dem Textschwall treiben oder schaltet ab, um sich dann doch wieder an einigen Pointen und Paradoxa festzuhalten. "Ich spreche heute so umständlich, weil ich natürlich nicht will, dass der Deutsche mich versteht, und das Einfache versteht er nicht." Zitate aus Reden des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck, etwa sein Ausspruch bei der Münchner Sicherheitskonferenz "warum etwas reparieren, was nicht kaputt ist", werden hin und wieder als Kontrapunkt eingeblendet, doch Jelineks Text zündet auch auf diese Weise nur selten.

Beeindruckt das Thema "deutsche Befindlichkeit" am Ende vielleicht doch nur professionelle Politkommentatoren? Eine vergnügliche Nacht im Museum ist der Abend dennoch. Bei Jelineks Text werden auch die Museumsobjekte wach und versammeln sich kurzfristig. Schließlich kommen auch noch schwarze Immigrantenkinder in die Ausstellung und bestaunen die Vitrinen. (Bernhard Doppler aus Hamburg, DER STANDARD, 22.9.2014)