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Eine Wahl, monatelanger Streit und jetzt zwei Sieger: Abdullah Abdullah (li.) wird eine Art Premier, Ashraf Ghani wird Präsident.

Foto: AP / Massoud Hossain

Kabul/Neu-Delhi - Am Ende schüttelten sie einander die Hände und umarmten einander demonstrativ vor laufenden Kameras. Monatelang hatten sich Afghanistans Präsidentschaftskandidaten derart in den Haaren gelegen, dass ein Bürgerkrieg keine ferne Schreckensvision mehr schien. Nun haben sich Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah nach massivem internationalem Druck doch noch zusammengerauft. Am Sonntag unterzeichneten sie ein Abkommen über eine gemeinsame "Einheitsregierung" - mit Doppelspitze. Kurz darauf erklärte die Wahlkommission Ghani offiziell zum Präsidenten.

Fünf Monate nach dem ersten Wahlgang und wenige Monate vor Abzug der Nato bekommt das vom Krieg zerrüttete Land damit endlich eine neue Führung. Ghani wird Nachfolger von Hamid Karsai, der fast zwölf Jahre regiert hat. Eine seiner ersten Amtshandlungen dürfte es sein, einen Sicherheitspakt mit den USA zu unterzeichnen, der den Verbleib von Nato-Truppen nach 2014 regelt.

Neues Amt für Abdullah

Abdullah soll eine Art Premierminister- oder CEO-Posten erhalten, den jedoch die Verfassung bisher nicht vorsieht. In Afghanistan ist der Präsident bisher Staats- und Regierungschef in einer Person. Bis zuletzt hatten sich die Rivalen erbittert um die Führungsrolle und Kompetenzen gestritten. Nun sollen alle hochrangigen Ämter in Regierung, Verwaltung und Justiz zu gleichen Teilen aufgeteilt werden.

Der scheidende Präsident Karsai gratulierte den Kandidaten. Erleichtert begrüßte auch Washington das Abkommen. "Die Vereinbarung stellt eine wichtige Chance für Einheit und größere Stabilität inAfghanistan dar", erklärte das Weiße Haus. Ob das Konstrukt in der Praxis funktioniert, steht auf einem anderen Blatt. Viele Analysten geben der neuen Einheitsregierung maximal zwei, drei Jahre. Beide Männer sehen sich als Wahlsieger. Weiteres Machtgerangel scheint programmiert. Auch von den Persönlichkeiten her dürfte die Zusammenarbeit schwierig sein. Beide gelten als stolz und stur. Der Ex-Weltbank-Manager Ghani wird zudem als aufbrausend und rechthaberisch beschrieben.

Der Einigung war ein monatelanges Gezerre um das Wahlergebnis vorausgegangen. Im ersten Wahlgang im April hatte zunächst Abdullah mit knapp einer Million Stimmen geführt. Bei der Stichwahl Mitte Juni lag dann Ghani mit rund einer Million Stimmen vorne. Der frühere Außenminister Abdullah, hinter dem große Teile des Sicherheitsapparates stehen sollen, witterte Betrug und drohte mit einer Parallelregierung, was das Land in einen Bürgerkrieg hätte stürzen können.

Neuauszählung der Stimmen

Auf Geheiß von US-Außenminister John Kerry wurden dann alle Stimmen neu ausgezählt und hunderttausende für ungültig erklärt. Klar wurde nun, dass Ghani nach der Überprüfung vorn lag. Doch Abdullah glaubt weiter, dass hinter den Kulissen zugunsten Ghanis gemauschelt wurde.

Dass sich die Rivalen zuletzt doch noch einigten, war dem internationalen Druck geschuldet. Nicht nur US-Präsident Barack Obama und Kerry hatten den Streithähnen ins Gewissen geredet: Auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier und dessen indische Amtskollegin Sushma Swaraj hatten die Kandidaten ins Gebet genommen. Die USA hatten sogar gedroht, alle Hilfsgelder zu streichen, sollte die Krise nicht beigelegt werden.

Der Konflikt lässt erahnen, wie schnell Machtkonflikte in dem ethnisch stark gespaltenen Land blutig eskalieren könnten. Hinter Abdullah stehen die Tadschiken, die die zweitgrößte Gruppe Afghanistanssind, sowie andere Minderheiten. Ghani wird dagegen von den Paschtunen unterstützt, die die größte Gruppe stellen. (Christine Möllhoff, DER STANDARD 22.9.2014)