ÖVP-Klubobmann hat den Kardinalfehler der Politik begangen: Er hat eine unangenehme Wahrheit ausgesprochen.

Lopatka hat im Standard-Interview darauf hingewiesen, dass Ausgabenkürzungen immer einige Jahre brauchen, bis sie budgetwirksam werden. Wenn man, wie die ÖVP es will, eine rasche Steuerreform bzw. Steuerentlastung ohne neue Steuern durchsetzen will, müsse man für ein oder zwei Jahre auch ein höheres Defizit in Kauf nehmen.

Der Sturm der Entrüstung in der eigenen Partei war keine Überraschung. Denn "keine neue Schulden" ist unter Michael Spindelegger zu einer Mantra geworden, von der sich eine Partei, die fiskale Verantwortung großschreibt, nicht so leicht löst.

Aber Vizekanzler Reinhold Mitterlehners vorsichtige Distanzierung von seinem eigenen Klubchef macht auch das Dilemma der ÖVP und die Sterilität der Steuerreformdebatte offensichtlich.

Finanzminister Hans Jörg Schelling hat bei der weiteren Budgetplanung drei Möglichkeiten:

Entweder akzeptiert er für eine Senkung der Einkommenssteuer eine Gegenfinanzierung durch höhere Abgaben. Das kann die Streichung von Steuervorteilen wie etwa Schwerarbeits- und Schmutzzulagen oder sogar die sinnlose Steuerbegünstigung von Überstunden beinhalten. Doch dann würden die Arbeitnehmer sich die Steuersenkung selbst bezahlen, was der ÖGB strikt ablehnt. Die ÖVP müsste dann wohl auch Vermögenssteuern akzeptieren.

Er kann zuerst Sparmaßnahmen einleiten, etwa in der Verwaltung, den Förderungen und bei Pensionen, und die Steuern erst dann senken, wenn diese wirken. Das wäre die Fortsetzung des Spindelegger-Kurses ("Die Steuerreform müssen wir uns erst erarbeiten"). Doch genau das hat die Revolte gegen Spindelegger ausgelöst, die Mitterlehner und Schelling ins Amt gebracht hat.

Oder aber er nimmt eine Zeitlang ein höheres Defizit in Kauf, was Lopatka nun angeregt hat.

Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht.

Was soll die ÖVP tun? Aus wirtschaftlicher Sicht sind alle drei Wege vertretbar. Aber politisch ist eindeutig der dritte – ein vorübergehend höheres Defizit – die erfolgversprechendste Variante. Denn Vermögenssteuern kommen für einen Teil der Volkspartei nicht infrage, und eine Verschiebung der Steuerreform für einen anderen Teil auch nicht.

Der Preis für ein etwas höheres Defizit, das zwar nicht den Regeln des Fiskalpaktes entspricht, aber unter der Drei-Prozent-Schwelle des älteren Stabilitätspaktes liegt, ist erträglich. Die EU-Kommission wird angesichts viel größerer Defizitsünder in der Eurozone nichts tun. Und die Ratingagenturen und Finanzmärkten reagieren auch entspannt, solange ein langfristiges Konzept für eine Ausgabenreform vorliegt.

Mitterlehners Reaktion zeigt, dass auch er und Schelling offenbar mit diesem Kurs liebäugeln, wahrscheinlich schon in Absprache mit der SPÖ. Lopatkas Aussage kommt "zu früh", sagte er. Das ist weniger als ein Dementi.

Aber die Öffentlichkeit hat ein Recht zu wissen, was der Finanzminister in einer so wichtigen Sache plant. Deshalb hat Lopatka mit seiner etwas undiplomatischen Offenheit der politischen Kultur des Landes einen guten Dienst erwiesen. (Eric Frey, derStandard.at, 21.9.2014)