Das Aquarell "Sarajevo im Winter II" (28.000 Euro) schuf Jungnickel nach 1940.

Foto: Nebehay

Ludwig Heinrich Jungnickels (1881-1965) Hang zur Fauna, die in vielerlei Gestalt und nahezu von Anbeginn sein OEuvre bevölkert, ist amtlich. Sie beruhte allerdings weniger auf infantiler Vernarrtheit als auf Respekt. Als legendär gelten sowohl sein 1908 für das Palais Stoclet (Brüssel) entworfener (1911 fertiggestellter) Fries als auch die im Jahr darauf entstandene, vom Kaiser subventionierte Farbholzschnitt-Serie Schönbrunner-Tiertypen.

Äffchen, die einfache Haus- wie die wilden Raubkatzen sollten ihn ebenso wie Rehe, Hunde, Füchse und Esel bis zum Ende seines Schaffens begleiten, wovon Arbeiten jeder Gattung zeugen, flüchtige Skizzen genauso wie Aquarelle, Holzschnitte und Gemälde, aber auch auf Lobmeyr-Glasgefäßen verewigte Schwarzbronzitdekore. Der Überlieferung nach pflegte er seine Mitmenschen nach Tierarten zu klassifizieren und teilte sie in Katzen-, Vogel- oder Eichhörnchenmenschen ein.

Gemessen an den im Sortiment von Kunsthändlern und Auktionshäusern angebotenen Arbeiten, scheinen solche Motive den heimischen Kunstmarkt zu dominieren: an Menge vielleicht, nicht jedoch punkto Bewertung, die, verglichen mit Künstlerkollegen seiner Generation, den Zenit noch nicht erreicht hat. Im Mai gelangte im Dorotheum eine Mischtechnik aus dem Jahr 1913 zur Auktion, taxiert auf 12.000 bis 16.000 Euro, wechselte sie weit über den Erwartungen erst bei 51.540 Euro den Besitzer.

Faszination für Unverfälschtes

Die Arbeit zeigte die Brücke von Mostar, ein historisches Bauwerk aus dem 16. Jahrhundert, das durch seine Zerstörung im Zuge des Bosnienkrieges 1993 zu weltweiter Berühmtheit gelangte. Jungnickel hatte dieses Motiv, ursprünglich Eselkarawane in Mostar betitelt, mehrfach variiert. Die um 1914 entstandene, des osmanischen Architekten wegen Türkenbrücke in Mostar bezeichnete und vergleichsweise weniger dekorative Version in Öl hatte 2007 im Dorotheum dagegen nur 24.700 Euro erzielt.

Das einstige k. u k. Kronland hatte Jungnickel erstmals im Jahr 1913 besucht, in den Folgejahren bis in die Zeit des Zweiten Weltkrieges hinein bereiste er Dalmatien und Mazedonien, verweilte in Dubrovnik, Sarajewo, Split und Opatija. Den künstlerischen Dokumenten dieser Stationen in Form von Aquarellen und Zeichnungen (von 1800 bis 28.000 Euro) widmet Christian Nebehay bis Ende September eine Verkaufsausstellung, die als Reminiszenz an das Gedenkjahr 1914 auch Einblick in Jungnickels bislang weniger geläufige Motivwelt gewährt. "Hier fand ich alles das, was ich suchte", begründete der Künstler seine Faszination, insbesondere die unverfälschte Kultur, die ihm in "jeder Äußerung des Volkes, in seinen alten Häusern, seinen Trachten, Liedern und Gebräuchen" begegnete. (kron, DER STANDARD, 20.9.2014)