Epilepsien sind eine klinisch heterogene Gruppe neurologischer Erkrankungen. Trotz starker Evidenz für die Vererbbarkeit der Erkrankung erbrachte die Suche nach gemeinsamen genetischen Risikofaktoren, die allen Epilepsien zugrunde liegen, bislang keine klaren Ergebnisse.
Eine in "Lancet Neurology" erschienene Arbeit eines kürzlich formierten weltweiten Konsortiums (International League Against Epilepsy Consortium on Genetics of Complex Epilepsies) hat das jetzt geändert: "Dies ist die erste weltweite Studie die zeigt, dass es gemeinsame und distinkte genetische Risikofaktoren für die verschiedenen Formen der Epilepsie gibt", erklärt Holger Lerche.
Die Wissenschaftler konnten drei Risiko-Loci für Epilepsie identifizieren. Lerche, Ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt Epileptologie der Universität Tübingen, ist einer der Autoren der Studie.
Wie oft und wer
Epilepsien treten mit einer Häufigkeit von 0,5 bis 1 Prozent auf; knapp die Hälfte davon beginnt bereits im Kindesalter. Mindestens 50 Prozent davon sind genetisch bedingt, wobei die Ursache in den meisten Fällen multifaktoriell bzw. polygen ist. Nur wenige Prozent der sogenannten idiopathischen/genetischen Epilepsien folgen einem monogenen Erbgang.
Epidemiologische Untersuchungen der genetischen Variation des menschlichen Genoms, genomweite Assoziationsstudien (GWAS), sind darauf ausgelegt, einen bestimmten Phänotyp mit bestimmten Haplotypen bzw. Allelen zu assoziieren. Bei Epilepsie wiesen GWAS bislang nur geringeren Erfolg auf, spezielle Risiko-Loci zu identifizieren – aufgrund zu kleiner Stichproben und dadurch mangelhafter Aussagekraft.
Gewusst wo und wie
Der GWAS ist mit dem Nachweis der drei Risiko-Loci ein großer Schritt gelungen, denn: "Für Diabetiker, für Schizophrenie oder Migräne gibt es diese Nachweise längst, allein für die Schizophrenie sind 100 Risiko-Loci nachgewiesen, für die Migräne sind es knapp 20", erklärt Lerche.
Für ihre Studie kombinierten die Wissenschafter nun genomweite Assoziationsdaten aus 12 Kohorten von Probanden diverser Ethnien mit Epilepsie und Kontrollpersonen aus populationsbasierten Datensets, die aus drei Kontinenten stammten. Insgesamt wurden 8.696 Epilepsiefälle und 26.157 Kontrollprobanden in die Analyse eingeschlossen. Phänotypisiert wurden Personen mit idiopathischer/genetischer generalisierter Epilepsie (n= 2600), fokaler Epilepsie (n=5300) und nicht klassifizierbarer Epilepsie.
Bei den fokalen Epilepsien ist die Übererregung auf ein Gehirnareal beschränkt, bei den generalisierten Epilepsien erstrecken sich die Anfallszeichen über beide Hemisphären.
Die Fundorte bestimmen
Nummer eins der drei so identifizierten Loci liegt in SCN1A – dem wichtigsten Epilepsie-Gen, das bei seltenen monogenetisch vererbten Epilepsien, wie dem Dravet-Syndrom, mutiert ist. Der durch das Gen kodierte Natriumkanal, der in inhibitorischen Nervenzellen des Gehirns exprimiert wird, verliert beim Dravet-Syndrom seine Funktion, was zu einer verminderten Hemmung im Gehirn führt.
Die mit häufigen Epilepsien assoziierte Variante in SCN1A kann als "Risikofaktor mit geringer Effektstärke" betrachtet werden, erklärt Lerche. Bislang nicht mit Epilepsie in Verbindung gebracht wurde Kandidat 2 in der Nähe von PCDH7.
Das Gen kodiert ein Protocadherin-Molekül und kann ebenfalls als Risikofaktor für alle Epilepsien gelten. Für die Kohorte der idiopathischen/genetischen generalisierten Epilepsien fanden die Forscher ein einzelnes Signal, den dritten Kandidaten, der mit dem Gen VRK2 in Verbindung gebracht wird.
Genetische Architektur ausbauen
Die Daten liefern weitere Evidenz über die genetische Architektur der Epilepsien mit dem Ziel einer besseren Krankheitsklassifikation und –prognose.
Die Ergebnisse legen nahe, dass spezifische Loci pleiotropisch allgemein das Risiko für Epilepsie erhöhen oder Effekte auf einen spezifischen Subtyp haben können.
Welche therapeutischen Konsequenzen sich daraus ergeben ist noch nicht klar. Lerche: "Bei Vorliegen schwerwiegender SCN1A Mutationen vermeidet man bereits heute Substanzen, die Natriumkanäle blockieren. Häufige SCN1A Varianten könnten auch für die häufigen Epilepsien ein Teilfaktor werden, der Auskunft darüber geben könnte, welche Medikamente ansprechen und welche nicht". Diese Frage werde gerade in internationalen Forschungsinitiativen untersucht. (idw/red, derStandard.at, 19.9.2014)