In Adrian Melis Video "Ovation" werden nur Zustimmung und Applaus gezeigt, die die Parlamentarier für ihre Debattenbeiträge erhalten. Das Wesentliche bleibt für das Bürgerauge unsichtbar.


Foto: Steirischer Herbst

Graz - Der einzige Zweck, warum Adrian Melis eine Firma gründete, war es, Jobs zu vernichten. Menschen mit spanischer Muttersprache forderte der Kubaner auf, sich auf ein einmonatiges Jobangebot mit Lebenslauf zu bewerben. An fünf Tagen pro Woche sollte der Kandidat je zwei Stunden arbeiten. Seine Aufgabe: die Lebensläufe der anderen Bewerber auszudrucken und im Reißwolf vernichten. Die Zerstörung von Jobwünschen als Arbeit.

Kreative Zerstörung

Mit seiner Arbeit Linea de Produccíon por Excedente (2014) entlarvt Melis den zerstörerischen Charakter des neoliberalen Systems. Er bezieht sich auf den österreichischen Ökonomen Joseph Schmumpeter (1883-1950), dessen Begriff der "kreativen Zerstörung" er ironisch kommentiert. Angesichts einer Jugendarbeitslosigkeit in Spanien von über 50 Prozent überrascht es nicht, dass ihm über 1.000 Lebensläufe zugesandt wurden. Als geschredderte Papierschnipsel bekommt man sie im Festivalzentrum des Steirischen Herbstes zu sehen, ein Video dokumentiert die Zerstörung.

Melis ist einer von 15 Künstlern der Ausstellung Forms of Distancing, die das Leitmotiv des Steirischen Herbst I prefer not to ... share! kommentierten. Was heißt Teilen bzw. Nichtteilen im politischen Kontext? Wie wirken politische Strategien auf die Wirtschaft? Welche Bedeutung haben Distanz und Repräsentation für das Individuum? Die Künstler antworten mit Klanginstallationen, Malerei, Fotografie und Performance. Luigi Fassi, der die Schau mit Stefano Collicelli Cagol kuratierte, betont den positiven Aspekt von Repräsentation: "Ohne Distanz wäre unsere Demokratie gar nicht möglich." Nur über Distanz könnten Bürgerinteressen im Parlament vertreten werden.

Problematischer betrachtet Melis hingegen die Distanz zwischen Wähler und Parlamentarier in dem Video Ovation (2012-14). Auf einer Reihe von Monitoren werden Abgeordnete aus verschiedenen EU-Ländern gezeigt. Doch lange Debatten kürzte Melis auf Szenen von endlosem Applaus und Zustimmung. Melis kritisiert damit das wachsende Misstrauen gegenüber repräsentativen Demokratien und die fehlende Transparenz - obwohl jeder Bürger parlamentarische Entscheidungen eigentlich durch TV-Übertragungen und Livestreams im Internet verfolgen kann.

Die Bank fern der Heimat

Acht von Francis Cape aus Pappelholz gefertigte Bänke repräsentieren Distanz und Teilen gleichermaßen. Der britische Künstler rekonstruierte die Bänke nach Entwürfen religiöser Gemeinden aus dem 18. Jahrhundert. Die Shaker oder die Inspirationsgemeinde wurden zur Migration von Europa in die USA gezwungen - ihre Handwerkstradition setzten sie dort fort. Als Installation Utopian Benches (2011-14) stehen die Bänke für den in Distanz zur Heimat entstandenen Kommunalismus der Gemeindemitglieder.

80 Prozent der Arbeiten sind für das Festival entstanden. So auch die Installation Untitled (Rice) von Pratchaya Phinthong. Der Thailänder bearbeitet ein aktuelles Problem seiner Heimat. Anfang 2013 führte man ein Reispfändungsprogramm ein. Der Staat zahlte Bauern für ihren Reis 50 Prozent mehr als den Marktpreis. Damit wollte Premierministerin Yingluck Shinawatra das Geld auf die arme Landbevölkerung umverteilen - und deren Stimmen kaufen. Doch dem Druck des Weltmarktes konnte man nicht standhalten. Der Reispreis verfiel, die Zahlungen wurden gestoppt, viele wurden noch ärmer.

Phinthong reagierte darauf, indem er mit seinem Budget vom Steirischen Herbst den Verpfändungsschein eines Bauern erwarb. Als gerahmtes Kunstobjekt hängt der Schein auf der Höhe, die dem Stand der aufgehäuften Reismenge entspräche: 20 Zentimeter. "Ursprünglich war das Ziel, so viel Reis zu kaufen, dass man den Schein auf einer Höhe von einem Meter hätte zeigen können", so Kurator Fassi. Doch in den vergangenen Monaten wurde es den Bauern verboten, ihren Reis zu verkaufen. Der Schein wurde so zum Kunstwerk und zum wertvollen Dokument. (Michael Ortner, Spezial, DER STANDARD, 19.9.2014)