Auf dem Papier wird Österreichs Strom immer sauberer. Laut dem aktuellen Stromkennzeichnungsbericht der Energie-Control ist der Anteil erneuerbarer Energieträger auf 78,6 Prozent gestiegen. Atomstrom wird an Haushalte sowie Klein- und Mittelunternehmen überhaupt nicht mehr verkauft (derStandard.at berichtete).

In Österreich werden allerdings nur rund 66 Prozent Ökostrom erzeugt – weniger als in früheren Jahrzehnten. Die Differenz auf 78,6 Prozent kommt aus dem Ausland, vorwiegend aus Norwegen, wo es fast nur Wasserkraftwerke gibt. Unser Strom wird durch diese Umetikettierung scheinbar sauberer, der norwegische "schmutziger". Der Umwelt bringt diese gedankliche Verschiebung nichts.

Selbst wenn in ganz Europa alle Haushalte ab sofort nur noch reinen Ökostrom kaufen, würde sich am Kraftwerkspark nichts ändern, denn rund ein Viertel des europaweit erzeugten Stroms stammt bereits heute aus erneuerbaren Energieträgern, und der Anteil der Haushalte am gesamten Stromverbrauch beträgt ebenfalls rund ein Viertel.

Aus diesem Grund ist die Idee der Stromkennzeichnung zwar gut gemeint, aber in der Realität ist das ganze Regelwerk ein zahnloser Papiertiger. Kein einziges Kraftwerk musste jemals abgeschaltet werden, weil es einen zu "schmutzigen" Strom erzeugt, den niemand haben will. Die Atomkraftwerksbetreiber lässt es vollkommen kalt, wenn ihr Strom auf keiner Rechnung in Österreich mehr aufscheinen darf – es gibt genügend andere Käufer.

Rechtlich ist alles ok

Dass die Stromkennzeichnung de facto wirkungslos ist, liegt nicht an Mängeln, die sich beheben ließen. Österreich hat bereits die strengste Stromkennzeichnung Europas. Die Situation ist am Strommarkt einfach eine grundsätzlich andere als zum Beispiel bei Bio-Produkten: Letztere werden nur produziert, wenn sie gekauft werden. Es gibt weder einen ohnehin vorhandenen Überschuss an Bio-Produkten noch bekommen Bio-Bauern Investitionszuschüsse, mit denen sie Bio-Produkte zum gleichen Preis wie konventionelle verkaufen können.

Der am Markt angebotene Ökostrom stammt meist aus alten Kraftwerken. Selbst wenn Strom aus neuen Öko-Kraftwerken verkauft wird, handelt es sich in aller Regel um Kraftwerke, die sowieso wirtschaftlich betrieben werden können. Ein Kauf durch "bewusste Konsumenten" ist dann aber nicht notwendig. Ein etwaig verlangter höherer Strompreis ist im schlimmsten Fall nur ein Körberlgeld für die Aktionäre.

Es würde auch nichts bringen, die norwegischen Herkunftsnachweise zu verbieten, wenn nicht tatsächlich Strom aus Norwegen importiert wird. Die Stromhändler können nämlich ohne Weiteres behaupten, dass sie sehr wohl Strom aus Norwegen importieren. Wenn sie gleichzeitig "schmutzigen" Strom nach Norwegen exportieren, ergibt sich in Summe ein physikalischer Stromfluss von Null. Strom lässt sich eben nicht so verfolgen wie Lkws auf der Autobahn. Deswegen ist die Stromkennzeichnung eine mehr oder weniger willkürliche Umverteilung ohne realen Effekt.

Die wahre Umweltbilanz

Besonders absurd ist es, wenn in Ökobilanzen mit dem deklarierten Strommix eines Anbieters gerechnet wird. Sicher wäre es schön, wenn man ohne großen Aufwand – nur durch Kauf von Ökostrom – Tonnen von CO2 einsparen könnte. In der Realität ist das aber eben keine Einsparung sondern nur eine Umverteilung zu jemand anderem, dem die Herkunft des Stroms egal ist.

Eine Stromheizung wird nicht umweltfreundlich, wenn sie mit reinem Ökostrom betrieben wird. Auch ein Elektrofahrzeug fährt nie wirklich emissionsfrei, denn wenn Strom gespart wird, werden sicher nicht die Wasserkraftwerke, Windräder und Photovoltaik-Module gedrosselt. Das bedeutet umgekehrt: Ein Mehrverbrauch an Strom kommt letztlich aus konventionellen Kraftwerken.

Dem Strom ein sauberes Mascherl zu verpassen, ist überflüssig und missverständlich. Wir brauchen stattdessen einen bewussten, sparsamen Umgang mit Energie und verantwortungsvolle Stromerzeuger, die sich nicht auf einer scheinbar makellosen Stromkennzeichnung ausruhen. (Mario Sedlak, derStandard.at, 17.9.2014)