Es gleicht einer Flut. Kleine Fläschchen, goldener Inhalt, so wertvoll, dass die Hautpflege mit einer Pipette aus den Fläschchen gezogen werden muss. Nur ein paar Tropfen reichen. Was sich lange Zeit fast ausschließlich in Salatdressings bewährt hat, sollte nun auch im Badezimmer einen Fixplatz einnehmen.
Öl für die Körperpflege, Öl, um die Haare von Verfilztheiten zu befreien, und seit neuestem auch Öl fürs Gesicht.
Keine Speckschwarte
Die Konsistenz soll zu Gesichtsmassagen animieren. "Niemand sieht deshalb wie eine Speckschwarte aus", beruhigt Dermatologe Markus Dawid, Leiter der Hautambulanz am SMZ Süd in Wien. Als Voraussetzung für die "Ölflut in Drogerien" nennt er das Aufkommen der sogenannten "trockenen Öle", deren vergleichsweise kleine Moleküle sich hervorragend in die Hautbarriere einfügen. Da die Kittsubstanz zwischen den Hautzellen ebenfalls aus Lipiden und Fetten besteht, schmiegen sich die trockenen Öle perfekt in die schützende Hornschicht ein.
So wie in der Küche kommt es aber auch bei Gesichtsölen auf die Qualität an. Pflanzenöle werden durch Auspressen von Ölfrüchten und -saaten gewonnen. Leindotter- oder Arganöl sind auch tatsächlich teure Inhaltsstoffe für die Gesichtsölfabrikanten. Mitunter werden auch Erd- und Kokosnüsse, aber auch Kerne von Pflaumen und Marillen ausgequetscht. Daraus entsteht die Basis der Pflegeprodukte, die dann mit einer Reihe von ätherischen Ölen versetzt werden. Damit es duftet. "Gesichtsöle immer auf die leicht feuchte Haut auftragen, damit auch die notwendige Feuchtigkeit dazukommt", rät Dawid. So wirkten Öle versiegelnd.
Simile-Prinzip
Gesichtsöle sind schon lange ein fixer Bestandteil von Naturkosmetik - zum Beispiel von Dr. Hauschka. "Öl wird bei uns zur Pflege von fettiger Haut eingesetzt", erklärt Silvia Holzgruber-Riess, Geschäftsführerin von Wala Österreich, Hersteller von Dr.-Hauschka-Produkten. Die Idee dafür holte sich der Antroposoph Hauschka seinerzeit aus der Homöopathie. Simile-Prinzip ist der Fachbegriff dafür, wenn Gleiches mit Gleichem geheilt wird - so funktioniere das auch mit der Haut, sagt Holzgruber-Riess. Den Hautzellen wird suggeriert, dass genug Fett vorhanden ist, die Talgproduktion stoppt automatisch. In der naturkosmetischen Philosophie sind Gesichtsöle tagsüber anzuwenden, nachts regeneriert die Haut, Öl aber auch Cremen würde diesen Prozess stören.
Kein Kälteschutz
Dass Öl eher tagsüber als über Nacht angewendet werden soll, steht im Gegensatz zu den Empfehlungen der meisten Hersteller. Eine wissenschaftlich fundierte Grundlage für das eine oder andere gibt es aus Sicht des Dermatologen Markus Dawid allerdings nicht. "Idealerweise sollte jeder mit den Jahren spüren, was der eigenen Haut guttut", sagt er. Was er an den Ölen schätzt: Jeder könne sich damit seine ganz individuelle Mischung selbst herstellen, indem - je nach Bedarf und Tagesverfassung - ein paar Tropfen mehr zur Feuchtigkeitscreme dazugemischt werden. "Die Stirnpartie braucht weniger Fett als die Haut auf dem Dekolleté", präzisiert er, und erfahrungsgemäß nehme das Bedürfnis nach reichhaltigen Cremen ab Herbst eher zu. "Kälteschutz" seien Gesichtsöle aber nicht.
Hersteller
So gut wie alle Hersteller siedeln ihre Produkte im Bereich Anti-Aging und Pflege von reiferer Haut an. Regeneration ist das Leitmotiv für Sisley, Clarins (Huiles visage) und Vichy (Neovadiol Magistral Elixir), das Einschleusen von Wirkstoffen via Öl steht bei L'Oréal (Age perfect), Lancaster (Retinol-in-Oil) aber auch bei La Prairie (Cellular Swiss Ice Crystal Dry Oil) im Vordergrund.
Auch die Naturkosmetik fühlt sich mit Ölen pudelwohl. Neben Pionier Dr. Hauschka preisen Biokosmetikmarken wie Santaverde, Ren, Addiction oder Esse Öl als einen vollkommen natürlichen Wirkstoff zur Hautpflege. "Cocooning", also das Sich-Wohlfühlen, ist Ziel des Sich-Einölens, das bekanntlich in der ayurvedischen Gesundheitslehre eine zentrale Funktion hat. Was diese Ölflut noch bedeuten kann - in Krisenzeiten läuft das Geschäft mit Kosmetik wie geschmiert. (Karin Pollack, Rondo, DER STANDARD, 19.9.2014)