Die Europäische Union hat diese Woche weitere Sanktionen gegen Russland verhängt. Diese Entscheidung fiel nach monatelanger Destabilisierung der Ukraine durch Russland und nach monatelangen politischen und diplomatischen Bemühungen um die Wiederherstellung von Frieden und Stabilität.

Die EU hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Aber wir sind alle der Überzeugung, dass wir nicht untätig zusehen dürfen, wie Präsident Putin das Völkerrecht und die Souveränität eines Nachbarlandes mit Füßen tritt. Wir können nicht ignorieren, welche Verluste an Menschenleben und welche Zerstörung Russland mit seinem Vorgehen auf dem Kontinent angerichtet hat, der unsere gemeinsame Heimat ist.

Sanktionen sind ein wichtiger Teil der Reaktion der EU. Nicht, weil wir sie uns wünschten, sondern weil wir sie für notwendig, wirksam und zum jetzigen Zeitpunkt angebracht halten. Lassen Sie mich das der Reihe nach erläutern.

Notwendig sind sie aus einem einfachen Grund: Russlands Vorgehen in der Ukraine ist unannehmbar. Russland weigert sich, die Unabhängigkeit und Souveränität der Ukraine zu akzeptieren. Es hat ukrainisches Staatsgebiet mit vorgehaltener Waffe annektiert, erst die Krim, und dann seine Streitkräfte in Teile der östlichen Ukraine geschickt.

Das ist keine leere Behauptung. Das ist Fakt. Wir wissen, dass Tausende russischer Soldaten und Dutzende russischer Panzer in der Ukraine im Einsatz waren. Ich habe die Berichterstattung in den Medien verfolgt, Aussagen von Augenzeugen gehört und zuverlässige nachrichtendienstliche Beweise gesehen.

Aus der europäischen Geschichte wissen wir, was geschehen kann, wenn eine unabhängige Nation mit militärischer Gewalt bedroht und ins Wanken gebracht wird. Premierminister Cameron und Bundeskanzlerin Merkel haben deshalb in der vergangenen Woche klar gesagt: Russlands Verstoß gegen das Völkerrecht darf nicht ohne Konsequenzen bleiben.

Zweitens sind die Sanktionen wirksam. Sie haben spürbare Folgen für die russische Wirtschaft, die im ersten Quartal dieses Jahres geschrumpft ist. Jetzt liegt das Wachstum bei 0%, und die Inflation steuert laut Prognosen auf den zweistelligen Bereich zu. Im Juli erhielten russische Firmen keinen einzigen US-Dollar, Euro oder Schweizer Franken an Kredit. Seit Jahresbeginn ist die Ausgabe von Eurobonds an russische Unternehmen gegenüber dem Vorjahr um sage und schreibe 93% zurückgegangen. Der Rubel hat gegenüber dem Dollar ein historisches Tief erreicht. Für dieses Jahr wird mit einer Kapitalflucht von umgerechnet rund 80 Milliarden US-Dollar gerechnet.

Aber nicht nur die Sanktionen selbst zeigen Wirkung. Russlands Entscheidung, den Import von Nahrungsmitteln zu beschränken, hat die Preise einiger Waren um über 30%, teilweise sogar um bis zu 60% in die Höhe getrieben und einen Schwarzmarkt für Importe aus Weißrussland entstehen lassen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen dieses Konflikts bekommt jede normale Familie in Russland zu spüren.

Und drittens ist der Zeitpunkt für die Sanktionen der richtige. Es wurde zwar letzte Woche ein Waffenstillstand verkündet, aber Russland und die von ihm unterstützten so genannten Separatisten müssen erst einmal beweisen, dass sie ihn auch einhalten.

Unter diesen Umständen war es das einzig Richtige, Sanktionen zu beschließen, während Gespräche über einen Friedensplan in Gang sind. Wir können diese Entscheidung jederzeit wieder aufheben. Aber dafür ist ein grundlegender Richtungswechsel in Moskau erforderlich.

Jetzt ist Russland am Zug. Es könnte seine Soldaten und Waffen abziehen und aufhören, die Separatisten mit Waffen zu beliefern, es könnte die Ukraine im Oktober demokratische Wahlen abhalten lassen und die Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine respektieren. Russland ist eine Großmacht, es sollte seiner internationalen Verantwortung gerecht werden.

Russlands andere Option ist, sich weiter in der Ukraine einzumischen. Das würde noch mehr Gewalt, noch mehr unnötige Todesopfer und noch mehr Not in der Region bedeuten.

Die Entscheidung liegt bei der russischen Führung. Ich hoffe aufrichtig, dass sie die unnötige Eskalation der wirtschaftlichen Maßnahmen und die gleichermaßen unnötige Isolation ihres eigenen Volkes vermeiden wird.

Wie ich beim NATO-Gipfel in der vergangenen Woche mit dem Außenminister der Ukraine, Pawlo Klimkin, besprochen habe, verdient es die ukrainische Bevölkerung in dieser kritischen Phase ihrer Geschichte, von der Weltgemeinschaft unterstützt zu werden. Und wir alle verdienen eine Zukunft in Wohlstand und Stabilität. (David Lidington, DER STANDARD, 16.9.2014)