Aydemir Yilmaz arbeitet seit 15 Jahren als Statist auf türkischen Filmsets.

Foto: Markus Bernath

Der Bart macht's: weiß und voll und um die Lippen herum noch ein bisschen die schwarze Haarfarbe von früher verratend. Im Sommer wird er um die Hälfte gekürzt, erklärt Aydemir Yilmaz, Besitzer des telegenen Barts, denn der Markt will es so. Im Sommer werden in Istanbul eher Kinofilme gedreht, im September aber laufen die Serienproduktionen fürs türkische Fernsehen wieder an. Die wollen Yilmaz und seinen Multifunktionsbart als Maler, Imam, Pascha, Intellektuellen im Teehaus oder finsteren Gesellen in Actionserien wie "Tal der Wölfe", wo mehr geschossen als überlegt wird. Aydemir ist Statist, "figüran", wie das auf Türkisch-Französisch heißt, und eines der bekanntesten namenlosen Gesichter im türkischen Fernsehen.

Statistentreffpunkt

Längster Auftritt? "Eine Minute", sagt Yilmaz, "aber dafür wartest du manchmal 24 Stunden auf dem Set." Mit Geduld ist der 65-Jährige gesegnet. Wenn er nicht gerade Pascha spielt oder mit vielsagendem Ausdruck in einem Glas Tee rühren muss, geht er Angeln. Direkt vor seinem Haus auf Kinaliada, einer der Prinzeninseln eine halbe Stunde weit mit der Fähre von Kadiköy, im asiatischen Teil Istanbuls. Das Haus hat er geerbt, und Fisch kauft er schon lange nicht nicht mehr, sondern fängt ihn selbst. Jetzt ist Mezgit-Zeit, sagt Yilmaz, Palamut kommt später.

Er ist auch einmal beruflich jeden Tag zu den Prinzeninseln gefahren. Das war, als dort noch mehr Griechen und Armenier ihre Häuser hatten und Istanbul kulturell bunter war. Yilmaz lieferte Wurst aus Schweinefleisch, produziert in Izmir. Und das war, so erzählt er, bevor sein Juwelierladen in Galata ausgeraubt wurde. Nun kommt Yilmaz seit 15 Jahren fast jeden Tag hierher zum Treffpunkt der Statisten in Şişli, Istanbuls zubetoniertem Zentrum auf der europäischen Seite, nur ein paar Meter weit weg vom Eingang der Großbaustelle von Torunlar, wo Anfang September zehn Arbeiter in einem defekten Aufzug abgestürzt waren.

Minibusse im Zehnminutentakt

Mayadroom, wie das Café der gleichnamigen Statistenfirma heißt, wird über kurz oder lang wohl auch umsiedeln müssen. In dieser Ecke von Şişli bleibt kein Stein auf dem anderen. Noch aber ist Mayadroom an ein Parkhaus angebaut, welches wiederum – so kann man den verblichenen Schildern entnehmen – neben acht Etagen mit Automobilen ein Büro der Kulturabteilung der Stadtverwaltung sowie ein Dachrestaurant beherbergt hatte. Vom Mayadroom werden in diesen Tagen im Zehnminutentakt Statisten minibusweise zum Filmset gefahren: viele Kinder in Begleitung ihrer Mütter, ein paar Mädels und dann die älteren Herren mit den angenehmen Gesichtern.

Auf einer Anzeigetafel erscheinen Filmtitel und Abfahrtszeiten wie auf dem Bahnhof. Ein Sitzplan für die Minibusse hängt auch aus: Frauen in der Mitte, Männer in der ersten und letzten Reihe – auch das türkische Filmgeschäft ist konservativer geworden. Yilmaz hatte schon am Morgen einen Auftritt, für den er eingeplant war; jetzt wartet er wieder, vielleicht ergibt sich noch eine Gelegenheit, und er kann für jemand anderen einspringen. An die 80 türkische Serien werden mittlerweile jedes Jahr hier auf den Sendern gezeigt (Turkish Drama gibt einen Überblick). Die Branche steuert 850 Millionen Lira Jahresumsatz an (rund 300 Millionen Euro) – und das Volk vor dem Bildschirm braucht es als Antidepressivum, erklärte der Soziologe Tayfun Atay dieser Tage in einem guten Interview mit der englischsprachigen "Hürriyet Daily News". (Markus Bernath, derStandard.at, 18.9.2014)