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Die Parteisprecher der Grünen, Gustav Fridolin und Åsa Romson, mit dem sozialdemokratischen Parteichef Stefan Löfven. Sie werden voraussichtlich eine Koalition miteinander eingehen.

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Der schwedische Politologe Joakim Palme rechnet nach dem Wahlausgang am Sonntag mit einer Minderheitsregierung zwischen Sozialdemokraten und Grünen. Die Schwedendemokraten werden seiner Ansicht nach trotz ihres guten Wahlergebnisses nur eine geringe Rolle im schwedischen Parlament spielen.

derStandard.at: Wie bewerten Sie den Wahlausgang? Ist die Niederlage der Konservativen ein Zeichen dafür, dass sich viele Schweden gegen die Erodierung des Wohlfahrtsstaates wenden?

Palme: Ja, alle Regierungsparteien haben verloren, die Konservativen mehr als alle anderen. Im Wahlkampf waren der Wohlfahrtsstaat im Zentrum, Bildung und Jobs. Nach acht Jahren gab es aber auch eine große Müdigkeit. Da ist es schwierig für jede Regierung, noch einmal zu gewinnen. Aber wenn man sich die Politik der letzten Jahre ansieht, merkt man, dass die konservative Regierung sich der Sozialdemokratie angenähert hat. Sie wollten mehr Geld für Bildung ausgeben und haben versprochen, dass es keine Steuersenkung mehr geben wird in den nächsten Jahren.

derStandard.at: Das war aber nicht genug.

Palme: Sie konnten nicht die Führung in den politischen Debatten übernehmen und agierten nur mehr reaktiv.

derStandard.at: Würden Sie von einem Linksruck sprechen – obwohl zum Beispiel die feministische Partei es nicht in das Parlament geschafft hat?

Palme: Es war ein minimaler Linksruck, nur minimale Zugewinne für die Sozialdemokraten und die Linkspartei. Die Grünen haben sogar verloren im Vergleich zu den letzten Wahlen. Das war für mich am Überraschendsten, weil sie bei den EU-Wahlen noch 15 Prozent erreicht haben.

derStandard.at: Die Sozialdemokraten haben sich im Wahlkampf schwergetan, letztendlich haben sie aber gewonnen. Auch eine Überraschung?

Palme: Jede Partei hatte zu kämpfen. Die Zentrumspartei war an einem Tiefpunkt und konnte es dann noch ins Parlament schaffen, obwohl sie davor nur bei vier Prozent lag. Auch die Feministische Initiative hat einen guten Wahlkampf geführt, obwohl es dann nicht gereicht hat. Die Schwedendemokraten haben etwas mehr zugelegt als angenommen.

derStandard.at: Wie bewerten Sie den Zuwachs der Schwedendemokraten?

Palme: Generell gibt es eine große Abneigung gegenüber der Partei und eine Befürwortung der "generösen" Immigrationspolitik in Schweden. Deshalb ist es schwierig zu sagen, woher nun die Popularität kommt. Sie profitieren davon, dass die anderen Parteien alle Richtung Zentrum rücken. Sowohl die Konservativen als auch die Linksparteien sind moderater geworden. Das erleichtert es den Schwedendemokraten, Proteststimmen zu erlangen. Laut Exit-Polls kommt der Großteil der Stimmen von den Konservativen, aber auch von den Sozialdemokraten.

derStandard.at: Wie sieht der Kernwähler der Schwedendemokraten aus?

Palme: Das ist nicht so klar, aber es dominieren die männlichen Wähler. Es gibt auch ein geografisches Muster. Im Süden dominieren die Schwedendemokraten, im Norden nur in Industriestädten. Historisch gesehen sind das die Gegenden, die in den 1930ern die Hochburgen der Nazis und Faschisten waren.

derStandard.at: Haben es die Schwedendemokraten geschafft, sich von ihrer neonazistischen Vergangenheit zu distanzieren?

Palme: Die Tatsache, dass sie eine Reihe an Mitgliedern hinausgeworfen haben, zeigt, dass sie es ernst nehmen. Gleichzeitig sind sie immer noch attraktiv für rassistische Aktivisten. Es ist ein andauernder Kampf.

derStandard.at: Die Schwedendemokraten sagen, sie sind jetzt die "Königsmacher" im Parlament. Wird es entscheidend sein, dass mit ihnen verhandelt und kooperiert wird?

Palme: Ich glaube nicht. Die letzten vier Jahren waren sie komplett isoliert. Bei den Abstimmungen im Parlament haben sie immer klar die Konservativen unterstützt. Das ist jetzt anders.

derStandard.at: Welche Optionen hat Stefan Löfven, um eine funktionierende Regierung zu bilden? Mit den Mehrheiten wird es schwierig.

Palme: Es sieht so aus, als würde er eine Minderheitsregierung bilden. Am wahrscheinlichsten ist, dass es eine Koalition mit den Grünen gibt. Natürlich brauchen sie dann aber noch die Unterstützung der Linkspartei. Und bei einigen Themen auch die Zentrums- oder Rechtsparteien. Das wird nicht einfach werden, vor allem beim Budget. Darüber wird es harte Verhandlungen geben.

derStandard.at: Schweden nimmt in Europa die meisten Flüchtlinge pro Einwohner auf – wie lange kann dieses System bestehen? Gibt es eine Diskussion darüber, ob man weniger in den Wohlfahrtsstaat und dafür mehr in die Asylpolitik investieren sollte? Oder ist das zu kurz gegriffen?

Palme: Das war ein großes Thema im Wahlkampf, als Premier Reinfeldt betonte, dass die Kosten im Asylbereich so hoch seien, dass Investitionen in den Wohlfahrtsstaat darunter leiden würden. Aber er sagte auch, dass es das wert sei, da wir auf lange Sicht als Gesellschaft davon profitieren.

derStandard.at: Schweden gilt in Bezug auf sein Wohlfahrtsstaatmodell stets als Vorbild – wie würden Sie Österreich im Vergleich dazu einschätzen?

Palme: Was wir an Österreich bewundern, ist, wie gut es funktioniert, Jugendliche vom Bereich Ausbildung in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Gleichzeitig hat Schweden beim Thema Frauenpolitik einen Vorsprung, beispielsweise bezüglich der Erwerbsbeteiligung von Frauen und dem Wiedereinstieg ins Berufsleben nach der Schwangerschaft – auch wenn wir immer noch einen langen Weg vor uns haben. (Teresa Eder, Noura Maan, derStandard.at, 15.9.2014)