In einem anderen Blogpost habe ich darüber geschrieben, welche Macht von der Bezeichnung einer Person in Bezug auf deren wahrgenommene Identität ausgehen kann: mit einer Anrede oder Benennung wird diese unter Umständen in ein völlig anderes Licht gerückt, was unfreiwillig oder selbstbestimmt passieren kann.

In dem dort angeführten Beispiel löste das durch jemand anderen auf mich angewandte weibliche Pronomen allgemeine Unsicherheit über meine männliche Geschlechtsidentität aus, die bis dahin eigentlich genauso wenig hinterfragt worden war wie die Geschlechtszugehörigkeit der anderen anwesenden Personen.

Im vorigen Beitrag schrieb ich darüber, wie mir derselbe Effekt, für dessen Eintreten ich allerdings selbst verantwortlich war, zugutekam: dabei habe ich mich selbst vor einer Person, die mich für ein Mädchen hielt, als Junge bezeichnet, und deren Wahrnehmung somit "korrigiert". Der "Ach so!"-Effekt trat ein, und ich wurde sofort anders wahrgenommen und behandelt (wenn auch die spezielle Art von Männlichkeit, die mir als Mann automatisch mit zugeschrieben wurde, nicht ganz meiner Identifizierung entsprach).

Oftmals fragen mich auch fremde Personen, ob ich ein Mädchen oder ein Junge sei. In dem Moment, indem ich ihnen eine eindeutige Antwort in Form einer Bezeichnung gebe, werde ich in ihren Augen auch erst dazu (dann tritt meist der "Aha!"-Effekt ein). Wenn meine Antwort jedoch nicht eindeutig ausfällt, wird oft heimlich oder auch ganz offen, etwa gemeinsam mit anderen Beteiligten, darüber gerätselt, in welche Kategorie ich denn nun zu stecken sei.

Bei der Suche nach Hinweisen bezüglich des "Geschlechts" einer anderen Person ertappe ich mich selbst ja auch immer wieder – dieser angelernte Zwang zur (Geschlechts-)Kategorisierung lässt sich nicht so leicht abstellen. Bei genauerer Betrachtung erscheint er jedoch nicht nur irrational, sondern auch grenzüberschreitend (was geht mich das Geschlecht einer fremden Person an).

Foto: Mike

Jedenfalls ist die sprachliche Dimension nicht wegzuleugnen, wenn es um die Konstituierung unserer Identität in einem sozialen Gefüge jeglicher Art geht. Wie gesagt, das kann durchaus auch einen gewünschten Effekt haben und die Selbstbezeichnung somit als Werkzeug zur Formung (oder Ausbesserung) der Rolle, in der wir mit anderen interagieren, dienen.

Der Spruch "Labels can be awesome, as long as you can choose them yourself“ drückt eben keine prinzipielle Zurückweisung von sprachlicher Bezeichnung aus, sondern eine Ablehnung von ungewollter Fremdbezeichnung. Demnach kommt mensch nicht drum herum, neue Bezeichnungen zu entwerfen und zu verwenden – immerhin kann nicht davon ausgegangen werden, dass die sprachlichen Kategorien aka Labels, die wir zurzeit zur Verfügung haben, auch tatsächlich alle (Geschlechts-)Identitäten abdecken.

Übrigens, weil die Frage im Forum schon mal aufkam: Was genau "Geschlecht" eigentlich ist, weiß ich auch nicht – wie soll sich so etwas Komplexes auch so einfach fassen lassen. Die "Geschlechtsidentität" kann jedoch nur etwas Selbstbestimmtes und nicht etwas auf Kategorien aus der Biologie, der Grammatik oder des allgemein gültigen Geschlechtersystems Beschränktes sein. Denn die Definitionsmacht über die eigene Identität kann per se nur bei dem Individuum liegen, um dessen Identität es schließlich geht.

Anyway, eigentlich wollte ich hierzu nur kurz ein simples, aber originelles Browsergame verlinken, das ich letztens über einen Freund* entdeckt habe (ursprünglich von Anita Sarkeesian bzw. FeministFrequency getwittert). Die grundlegende Idee des Spiels ist es, aufzuzeigen, welche Macht von sprachlicher Kategorisierung ausgeht. Allerdings ist das Game innerhalb von weniger als achtundvierzig Stunden entstanden, weshalb es diesem Anspruch nicht ganz gerecht wird, so die Entwickler*innen .

Bei mir machte sich während des Spielens jedenfalls sehr wohl ein interessanter und dieser Idee entsprechender Effekt bemerkbar: Denn mit den Labels änderte sich auch das Bild, das ich zu den fiktiven Personen hatte, und somit die Identität, die ich ihnen zuschrieb – was ich ja auch wortwörtlich tat. Vielleicht kann also alles, was mit diesem Beitrag auszudrücken versucht wurde, ja auch einfach durch eine Runde „Label Maker“ selbst erfahren werden. (Mike, dieStandard.at, 15.9.2014)