Deutsch konnte "als Jüdin in Berlin nicht teilnehmen".

Foto: Hakoah

"Hochachtungsvoll, Judith Deutsch": So endet der Brief, den Österreichs beste Schwimmerin am 26. Juni 1936 dem "Verband der Österreichischen Schwimmvereine" zukommen ließ. Es war der erste Tag, an dem sie einem Training fernblieb, sie bat, dies "freundlich zu entschuldigen", denn: "Ich kann als Jüdin an den Olympischen Spielen in Berlin nicht teilnehmen, weil mir das mein Gewissen verbietet. Ich erkläre, dass dies mein eigener, freier, unabänderlicher Entschluss ist."

Ihr sei, schrieb Judith Deutsch, "bewusst, dass ich auf die höchste sportliche Auszeichnung, nämlich in der österreichischen Mannschaft bei den Spielen starten zu dürfen, verzichte". Und sie bat den Verband, sie "keinem Gewissenszwang auszusetzen". 17 Jahre alt war Deutsch, als sie den Brief verfasste, und doch schon eine der bekanntesten Sportlerinnen des Landes. Kurz zuvor hatte sie das Goldene Ehrenzeichen erhalten, nachdem sie bereits 1935 als Sportlerin des Jahres ausgezeichnet worden war. Der Verzicht der Kraulerin auf die Nazi-Spiele war mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Verzicht auf Medaillen. Das ÖOC hatte etliche jüdische Sportlerinnen und Sportler für Berlin nominiert, neben Deutsch sagten auch ihre Schwimmkolleginnen Lucie Goldner und Ruth Langer sowie der Ringer Fincsus und die Leichtathleten Gottlieb und Neumann ab.

Das IOC und auch das ÖOC hatten jüdischen Sportlern und Sportlerinnen zuvor ausdrücklich das Recht auf den Olympiaverzicht eingeräumt, die Reaktion des österreichischen Schwimmverbands schlug freilich in die Gegenrichtung aus. Deutsch, Goldner und Langer wurden auf Lebenszeit gesperrt, sämtliche Titel wurden ihnen aberkannt. Die Sperren wurden erst nach internationaler Aufregung auf zwei Jahre reduziert. Deutsch sollte später festhalten: "Mir erschien es als unmöglich, in Schwimmbädern zu schwimmen, in denen das Schild ,Hunden und Juden der Eintritt verboten' nur für die Zeit der Olympiade abgenommen wurde."

Deutschs Familie - der Vater war Oberbahnrat und Patentingenieur, die Mutter hatteDeutsch und Kunst studiert - wanderte noch 1936 nach Haifa aus. Judith wurde israelische Meisterin, schwamm 1939 bei den World University Games für die Hebrew University. Sie heiratete den Arzt Bernhard Haspel, einen ehemaligen Hakoah-Hockeytorwart.

Erst 1995 wurde Judith Deutsch vom Schwimmverband rehabilitiert. Eine Einladung schlug sie aus, da sie nicht mehr nach Österreich zurückkehren wollte. Das Entschuldigungsschreiben, das ihr eine Delegation überbrachte, nahm sie aber gerne an. In "Watermarks", der wunderbaren Dokumentation über die alten Hakoah-Schwimmerinnen, konnte sie auch aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr mitwirken, ihre um drei Jahre jüngere Schwester Hanni übernahm es, Judiths Geschichte zu erzählen.

Judith Deutsch ist am 20. November 2004 in Herzliya in Israel verstorben. In Wien trägt demnächst eine Brücke ihren Namen, der Judith-Deutsch-Steg über den Handelskai soll ab 2015 die Leopoldstadt mit dem Donauufer verbinden. (Fritz Neumann, DER STANDARD, 15.9.2014)