Richard McBrearty glaubt, dass Schottlands Fußball sich erholt. Dass das Schlimmste vorbei ist. Dass es nach einer langen und tiefen Krise wieder aufwärts geht: "Nun sprießt langsam wieder frisches, grünes Gras." Es ist ja kaum anders möglich, tiefer als die durchschrittene kann eine Talsohle kaum werden. Doch es wird dauern, vielleicht zehn Jahre.

"Es war schlimm, doch nun sprießt langsam wieder frisches, grünes Gras."

McBrearty ist Kurator des Schottischen Fußballmuseums in Glasgow, er weiß, wovon er spricht. Die Anfänge des Abwärtstrends reichen lange zurück. Er begann Ende der 1980er-Jahre, doch er verlief schleichend. Die Probleme wurden negiert, denn die Nationalmannschaft qualifizierte sich weiterhin für Welt- und Europameisterschaften. Eine Zeitlang. 1998 war auch das vorbei, die Endrunde in Frankreich markierte das vorläufige Ende der Präsenz der Männer in Dunkelblau auf internationaler Bühne. Um Vergleichbares in der doch so ruhmreichen Historie des kaledonischen Kicks zu finden, muss man weit in der Zeit zurückgehen. Bis in die 1960er-Jahre, als Schottland ebenfalls seinen Status als ernstzunehmender Gegner verloren hatte.

Richard McBrearty an seinem Arbeitsplatz, dem Hampden Park. Das Schottische Fußballmuseum sitzt im Bauch des legendären Nationalstadions.
Foto: Privat

Man hat die Basis vernachlässigt, sagt McBrearty. Die Graswurzeln verdorrten. Schottland produziert schon lange keine Klassespieler mehr, die letzte große Generation trat vor 30 Jahren ab. Das hat, von den Versäumnissen von Verband und Vereinen einmal abgesehen, auch mit dem Dahinscheiden des ursprünglich stark ausgebauten Schulfußballs zu tun. Die Sounesse, die Dalglishs, die Gemmills, die Archibalds, die Strachans, die McLeishs - wo sind sie hin? Heute hat selbst der leidlich interessierte Beobachter Schwierigkeiten, überhaupt irgendeinen schottischen Kicker namentlich zu benennen.

Wirtschaftliches Desaster

In immer mehr Klubs machten sich Unternehmer in den Chefetagen breit. Doch es wurde schlecht gewirtschaftet. Man setzte auf ausländische Stars, übernahm sich. Wohl auch im aussichtslosen Bemühen, mit der boomenden englischen Premier League irgendwie mithalten zu müssen. Der übermächtige Nachbar grub den Schotten immer mehr das Wasser ab. Jeder auch nur halbwegs talentierte Spieler gibt bei erster Gelegenheit den Verlockungen des finanziell wie sportlich deutlich attraktiver erscheinenden Schlaraffenlandes südlich der Grenze nach. Der schottischen Liga dagegen fehlen die Identifikationsfiguren.

Steve Archibald arbeitete sich in den 1980er-Jahren über die Stationen Aberdeen und Tottenham Hotspur bis zum FC Barcelona hinauf. Gleich in seiner ersten Saison wurde der schottische Stürmer mit den Katalanen 1985 spanischer Champion.

Diesen Exodus gab es zwar schon immer. Waren ehedem aber Spitzenklubs wie Liverpool oder Tottenham das Ziel, heißen die neuen Adressen der Schotten jetzt eher Derby oder Norwich. Der Kader von Teamchef Gordon Strachan für das EM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland bestand überwiegend aus Spielern aus der zweithöchsten englischen Liga. Das hat zwar auch mit der Mittelmäßigkeit ihrer fußballerischen Qualitäten zu tun, aber nicht ausschließlich. Früher stellten in England Schotten und Waliser die Legionäre, seit der Liberalisierung der Märkte kam die ganze Welt als Konkurrenz dazu, die Schotten wurden verdrängt.

In den Nullerjahren gerieten die Vereine zunehmend in finanzielle Turbulenzen. Der FC Dundee, Livingston, Motherwell, Heart of Midlothian und selbst die mächtigen Rangers - sie alle gingen der Reihe nach in Konkurs. Großmannssucht und unverantwortliches Finanzgebaren forderten ihren Preis. Man arbeitete mit Wechseln auf die Zukunft, es wurde fiktives Geld verplant und auch gleich ausgegeben. Spielergehälter fraßen die Einnahmen fast vollständig auf.

Celtic-Übermacht auf niedrigem Niveau

Das rächte sich, als 2009 der irische Medienkonzern Setanta zusammenbrach, der die Senderechte an der damaligen Scottish Premier League (SPL) besaß. Der sicher geglaubte schöne Batzen Fernsehgeld kam nie auf den Konten der Klubs an. Rangers und Hearts überlebten nur mit Ach und Krach. Der Rekordmeister aus Glasgow (54 Titel), über den 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, musste in der vierten Liga neu anfangen. Die finanziellen Probleme sind jedoch nach wie vor (oder: schon wieder) gravierend.

Die Scottish Premiership leidet unter alldem schwer. Celtic Glasgow, Salzburgs Gegner in der Europa League, zieht nach dem Wegfall des Erzrivalen unangefochten seine Kreise. Die Spannung tendiert gegen null, das sportliche Niveau sinkt ungebremst. Denn auch die Edinburgher Traditionsvereine Hibernian und Hearts sind nach einem letalen Mix aus sportlicher und wirtschaftlicher Misere nur noch zweitklassig, erstmals seit 1890. Logische Nachrücker lassen aus. Weder der ehemalige Europapokalsieger FC Aberdeen noch Dundee United, die ehemalige New Firm, können die Schwäche der Konkurrenz für sich nutzen.

Das Gefälle innerhalb der Zwölferstaffel ist gigantisch: Celtic mit seinem 60.000 Menschen fassenden Stadion und einer globalen Anhängerschaft trifft auf Ross County, einen Klub aus dem Highland-Städtchen Dingwall mit 5.000 Einwohnern. Mit einem Marktwert von 54,43 Millionen Euro ist der Kader der Glasgower beinahe so teuer wie jene aller Konkurrenten zusammen. In der Rangliste der wertvollsten Spieler stehen auf den ersten 17 Plätzen ausschließlich Träger des grün-weißen Ringelleiberls, erst dann folgt mit dem Stürmer David Goodwillie aus Aberdeen der erste Nicht-Celtic-Mann.

Die begrenzte Attraktivität der Liga macht einerseits eine lukrative Vermarktung schwer und wirkt sich andererseits auch an den Drehkreuzen der Stadien aus: Die Zuschauerzahlen gehen zurück. Kamen im Jahr 2000 noch beinahe 18.000, belief sich der durchschnittliche Besuch in der Saison 2013/14 auf nur noch knapp über 10.000. All das führt dazu, dass die Klubs den Gürtel enger schnallen müssen, was sich wiederum negativ auf die sportliche Konkurrenzfähigkeit auswirkt. Ein Teufelskreis. Hielt man sich eine Zeitlang um Platz zehn, ist Schottland in der Fünfjahreswertung der UEFA mittlerweile auf Platz 24 abgestürzt. Im Vergleich zum Vorjahr (18.) ging es noch einmal steil nach unten. Der Fixplatz in der Gruppenphase der Champions League ist auf absehbare Zeit perdu.

Richard McBrearty aber sieht Licht am Ende des Tunnels. Man habe die Lektionen endlich gelernt. Es passiert viel für den Nachwuchs, es wird seriös budgetiert. Auch bei Celtic, dem letzten noch verbliebenen internationalen Vertreter Schottlands in der laufenden Europacup-Saison. Den Verantwortlichen dort sei klar, dass der Klub in nächster Zeit kleinere Brötchen wird backen müssen. Zur Illustration: Konnte der damalige Coach Strachan 2008/09 noch eine Elf mit einem Gesamtmarktwert von 62,25 Millionen aufs Feld schicken, so betrug dieser Wert 2013/14 nur noch 35,50 Millionen.

Einen ersten Vorgeschmack auf die Küche von Schmalhans gab es kürzlich beim sang- und klanglosen Ausscheiden aus der Qualifikation zur Champions League gegen Maribor. Trotzdem will man vernünftig bleiben, ausgeglichene Bücher haben Priorität. Es wäre angesichts mangelhafter Strahlkraft derzeit allerdings auch schwer bis unmöglich, hochqualifiziertes auswärtiges Personal erfolgversprechend anzuflirten. Der neue, junge Trainer Ronnie Deila, in Insiderkreisen als norwegischer Jürgen Klopp aktenkundig, wird mit seiner recht biederen Gruppe weiterwerken müssen.

Die Gegenwart: Celtic Glasgow verliert gegen Maribor zu Hause 0:1 und verpasst den Einzug in die Gruppenphase der Champions League. Alan McInally kann es nicht fassen.
ShivDes357

Hoffnung macht auch, dass bei kleinen Vereinen offenbar gut gearbeitet wird. McBrearty nennt seine Hamilton Academicals als ein solches Beispiel. Die Accies, Aufsteiger und im Relegationsduell gegen Hibernian am längeren Ast sitzend, pflegen die kommende Generation in einer eigenen Akademie. Investitionen in den Nachwuchs seien zwar keine Garantie, jedes Jahr Talente durchzubringen. Aber es passiert. Und Fälle wie jener des an Wigan abgegebenen James McCarthy kommen einem Lottogewinn gleich. Als der nunmehrige irische Teamspieler nämlich um einen deutlich gesteigerten Kaufpreis zu Everton weiterwanderte, lukrierte Hamilton einen prozentuellen Anteil der Summe - immer noch ein Millionenbetrag. Dieses nicht budgetierte Zubrot versickert dann nicht etwa in Gehaltssteigerungen, sondern wird in das System reinvestiert.

Selbst dem Niedergang der Rangers kann McBrearty, so paradox es klingt, etwas Positives abgewinnen: "In der vierten Liga hatten alle Klubs plötzlich zwei Riesenspiele pro Saison garantiert, samt entsprechender Einnahmen. Der eine oder andere war so clever, diese einmalige Gelegenheit zu nutzen." Und so finden sich jetzt mancherorts in der Provinz nagelneue Kunstrasenplätze, auf denen man auch bei typisch schottischen Äußerlichkeiten ordentlich trainieren und einem kultivierteren Spielbetrieb nachgehen kann.

East Stirlingshire geht nicht mehr

Zudem verpassten sich die Schotten nach langem Ringen 2013 eine Reform des Ligasystems, erstmals mit der Möglichkeit des Abstiegs aus der niedrigsten Profistufe in den Amateurbereich. Ein Kuriosum wie den Fall des East Stirlingshire FC wird es daher nicht mehr geben. Der Klub belegte zwischen 2002 und 2007 über fünf Saisonen hinweg den letzten Platz in der Football League, legte dabei eine Serie von 24 Niederlagen hintereinander hin - ohne Konsequenzen, von der Erlangung einer etwas zweifelhaften Berühmtheit einmal abgesehen.

In der zweitklassigen Championship bekommt neben dem Meister ein zweiter Klub die Chance auf den Aufstieg, in einem Playoff muss dafür der Vorletzte der Premiership ausgebootet werden. Zudem wurden Zugangshürden infrastruktureller Art entgegen dem internationalen Trend abgebaut. In die bislang geschlossene Gesellschaft des schottischen Spitzenfußballs zieht mehr Wettbewerb ein.

Andere Zeiten: Aberdeen gewinnt 1983 unter der Regie eines gewissen Alex Ferguson durch ein 2:1 im Finale gegen Real Madrid den Europapokal der Pokalsieger. 2014 gewannen die Dons mit dem League Cup den ersten nationalen Titel seit 18 Jahren.
MrFandefoot

Und schließlich: Noch haben die Schotten die Passion für ihren Nationalsport nicht verloren. McBrearty führt als Beleg dafür an, dass selbst kleinere Vereine nach wie vor in der Lage sind, Anhängerscharen bemerkenswerten Ausmaßes zu mobilisieren. So füllten Aberdeen und Inverness Caledonian Thistle im Finale um den Ligapokal den Celtic Park heuer mit gut 52.000 Fans, ein Jahr davor wollten immerhin 45.000 das Endspiel zwischen St. Mirren und Heart of Midlothian in Hampden erleben. Singuläre Ereignisse zwar, aber doch Hinweis auf ein bemerkenswertes Potenzial.

Und relativ zur Bevölkerungszahl gehen in Schottland immer noch so viele Menschen auf den Fußballplatz wie in kaum einem anderen Land der Welt, laut einer Untersuchung aus dem Jahr 2012 exakt 3,68 Prozent. Damit belegt man einen ehrenvollen vierten Platz, übertroffen nur von den Färöern, Island und Zypern. (Michael Robausch, derStandard.at, 17.9.2014)