Wien - "Ob ich meine Meinung geändert habe?", fragt Dennis Meadows. "Nein, absolut nicht." Der US-Ökonom hat sich vor mehr als 40 Jahren einen Namen damit gemacht, der Welt zu sagen: Wir fahren an die Wand. Meadows war Chef des Instituts, das für den Club of Rome "Die Grenzen des Wachstums" berechnete. Die Studie ging um den Globus, Meadows wurde berühmt. Wer über Nachhaltigkeit redet, kommt seitdem an seinen Thesen nicht vorbei.
Meadows ist so etwas wie die Antipode zur derzeitigen Politik. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit lechzt sie nach jedem Prozentpunkt Wirtschaftswachstum. Der Ökonom versucht die Menschheit auf das Gegenteil einzustimmen: Eine Welt ohne Wachstum, dafür aber mit Klimawandel. Das Wachstum würde nämlich nicht mehr wieder kommen, der Klimawandel aber stehe längst vor der Tür. Ohne ersteres lasse es sich leben, mit letzterem müsse man aber erst umgehen lernen.
Exponentielles Wachstum müsse irgendwann an seine Grenzen stoßen, sagt Meadows im Gespräch mit dem STANDARD. Das sehe man schon heute. "Schauen Sie sich an, was passiert. Ein Finanzkollaps, eine globale Epidemie in Afrika, die Eurozone bricht auseinander. Das bestätigt genau, was wir damals gesagt haben." Meadows hält Vorträge rund um den Globus, am Dienstag war er anlässlich eines vom Wifo geleiteten EU-Projekts in Wien. Gute Nachrichten hatte er dabei keine im Gepäck.
"Warum hat es in den vergangenen Jahren in Europa kein Wirtschaftswachstum gegeben?", fragt er, ohne auf eine Antwort zu warten. "Weil die Ölproduktion seit 2006 nicht mehr gewachsen ist." Gebe es nicht mehr Energie, könne man auch nicht mehr produzieren. Damit widerspricht Meadows den meisten Ökonomen. Die Mehrheit macht die Eigenheiten der Eurozone dafür verantwortlich, vor allem weil Länder wie die USA schon wieder kräftig wachsen.
"Wenn die Wirtschaft nicht wächst, was passiert dann?", fragt Meadows weiter. "Die Reichen und Mächtigen müssen sich das Geld anderswo holen. Die Ungleichheit steigt. Das passiert alles so, wie wir dachten. Wir haben es etwa auf 2010 vorhergesagt."
Wenn das Bruttoinlandsprodukt nicht mehr steige, sei das aber auch gar kein Problem, sagt der US-Amerikaner. Vorausgesetzt man gehe richtig damit um. Die Bevölkerung in reichen Ländern wachse nicht mehr, deshalb müsse es auch die Wirtschaft nicht mehr tun. Eine höhere Wirtschaftsleistung würde niemanden glücklicher machen. Wenn die Zahl der Menschen nicht mehr steige, brauche es auch keine zusätzlichen Häuser oder Fabriken mehr. Wachstumskritiker sind üblicherweise Anhänger eines bedingungslosen Grundeinkommens. Hört die Wirtschaft nämlich auf zu wachsen, dann fallen jedes Jahr Jobs weg. Die jetzige Situation Europas ist dafür ein gutes Beispiel.
Meadows weiß nicht, was er davon halten soll. Er zögert lange, weicht aus. „Sie fragen mich, was wir tun können, damit alles ok ist? Die Antwort ist: Ich weiß es nicht. Es ist unmöglich zu wissen“, sagt er. Für so möglich er eine Welt ohne Wachstum hält, so sicher ist er, dass die Menschheit längst über den Scheidepunkt hinaus ist. Das starke Wirtschaftswachstum der Vergangenheit würde die Welt bald einholen.
Österreich kenne er gut, sagt Meadows. Das Land sei mit einem Ölpreis von drei oder vier Dollar aufgebaut worden. Mit einem Ölpreis von aktuell 100 Dollar könne man kein Land mehr entwickeln. Arme Länder würden sich sicher nicht mehr industrialisieren, so Meadows. "Das ist ein Fakt."
Auch reiche Länder würden ihren Lebensstandard definitiv nicht halten können. Österreich sei etwa von Gasimporten aus Russland abhängig. Er erwartet, dass die russische Gasproduktion 2020 einen Höhepunkt erreicht. "Die Russen werden immer mehr selber brauchen, bis sie nichts mehr exportieren", sagt Meadows. Dann müsse man in Österreich den Gürtel gezwungenermaßen enger schnallen.
Wenn den Menschen Öl und Gas ausgehen, dann müsse man sich vom Wirtschaftswachstum verabschieden. Erneuerbare Energie und neue Technologien werden nie ein Ersatz sein können, ist er überzeugt. Sein Standpunkt ist im Prinzip das genaue Gegenteil davon, was Ökonomen wie Erik Brynjolfsson sagen. Brynjolfsson hat mit seinem Bestseller „Das zweite Maschinenzeitalter“ eine Diskussion darüber ausgelöst, wie Technik die Zukunft der Menschheit prägen wird.
Er geht davon aus, dass sie alles auf den Kopf stellt. Meadows kennt das Buch nicht, dafür aber ein Beispiel. „Für die Bekämpfung von Glatzen wird mehr Geld ausgegeben als für Aids.“ Profitorientierte Unternehmen würden die Probleme der Menschheit nicht lösen. Ihnen gehe es nur um Geld und Macht.
Von den Menschen brauche es dann große Opfer. Denn gleichzeitig müsse man sich ja auch auf den Klimawandel vorbereiten. Würde er Europa regieren, würde er zuerst die Immigration stoppen. Für eine große Veränderung brauche es Menschen, die ähnliche Werte hätten. "Marokkaner und Türken haben andere Vorstellungen als Österreicher", sagt Meadows. Die USA würden schon vorzeigen, wie sehr unterschiedliche Werte eine Bevölkerung paralysieren könnten. Der Kongress sei quasi unfähig, Gesetze zu beschließen.
Darüber hinaus plädiert er für Experimente. Er würde ein massives Programm für erneuerbare Energien und die Entwicklung neuer, hitzeresistenter Samen starten. "Das System ändert sich sowieso immer. Vor 100 Jahren hat Österreich noch ein Kaiser regiert." Die Erde drehe sich auch in Zukunft weiter. Man würde aber verzweifelt versuchen, ein System aufrechtzuerhalten, das sich nicht mehr aufrechterhalten lasse.
Ob er sich als ewiger Warner alleine fühle? "Die Dinge gehen rauf und wieder runter. Das war immer so." Traurig zu sein würde nichts ändern, deshalb könne man auch einfach glücklich sein. (Andreas Sator, DER STANDARD, 13.9.2014)