Daniela Segenreich, "Zwischen Kamelwolle und Hightech. Starke Frauen in Israel". € 22,90 / 176 Seiten. Styria-Verlag, Wien 2014

Foto: Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG

Sein Chaja Cnaani ist oft am Fleischmarkt unterwegs, wo sie, die heute 88-Jährige, einst ihre Kindheitsjahre verlebte. Und auch den Schwedenplatz geht sie entlang. Wenn auch nur am Computer. Der steht in ihrem Häuschen in Ma'agan Mich'ael, einem Kibbuz ungefähr 60 Kilometer entfernt von Tel Aviv. Denn 1938 flohen die Eltern von Liselotte, wie sie damals hieß, nach Shanghai. Sie ließen ihre 12-jährige Tochter bei einer Tante.

Erst anderthalb Jahre später konnte sie selber Österreich verlassen zugunsten Palästinas. Ihren Vater sah sie nie mehr, er starb in China, ihre Mutter erst Jahre nach Kriegsende. Da hieß sie schon Chaja, "die Lebendige", hatte geheiratet, studiert, Kinder bekommen. Und baute den mittlerweile zweiten Kibbuz mit auf in einem als Sumpfgebiet verschrienen Areal. Heute ist Ma'agan Mich'ael eine blühende Siedlung. Und Chaja kann auf ein stupendes Wirken und Leben zurückschauen.

So wie die anderen vierzehn Frauen auch, die Daniela Segenreich in dem etwas unglücklich betitelten Buch Zwischen Kamelwolle und Hightech porträtiert. Die Journalistin und TV-Filmerin lebt seit 26 Jahren in Israel. Ihr Unterfangen ist ausnehmend gut gelungen, ist es doch so aufklärend wie lesenswert.

Glücklicherweise hat Segenreich von vornherein kein trockenes, soziologisch repräsentatives Komplettbild der gesamtgesellschaftlichen Lage Israels angestrebt. Am Ende ist dann aber etwas ganz Ähnliches entstanden. Nicht selten nur mit ein paar gut gesetzten Federstrichen und scharfen Beobachtungen umreißt sie die Frauen, die sie trifft, mit denen sie sich über ihr Leben, ihr Ringen um Erfolg, Anerkennung, Aufstieg, über Bildung und Ausbildung, persönliche wie soziale Freiheit und Gleichberechtigung unterhält.

Frauenleben in Israel

Die Frauen gehören zu allen Stratosphären Israels, der einzigen Demokratie und Marktwirtschaft des Nahen Ostens: von der politisch gut vernetzten, noch mit 97 aktiven Unternehmerin Ruth Dayan, deren Familie eine der bekanntesten Israels ist, über die Orthodoxe Rivka, die zugleich Feministin und Universitätsdozentin ist, über eine Schauspielerin, die einst Samaritanerin war - eine religiöse Bewegung, die in einigen Punkten vom Judentum abweicht und sich als Aufrechterhalterin alter Traditionen sieht, weshalb sie auch auf hebräisch "Schomronim" (die Bewahrer) heißen -, bis zur Künstlerin und Designerin Danielle Orsinger in Tel Aviv.

Weiters sind da die Beduinin Khadra Elsana, die dem Sidrah Weaving Centre vorsteht, Hanan, muslimische Araberin, Architektin, Karatemeisterin und Hijabträgerin, die Katholikin Doris aus Jaffa sowie Gil Naveh alias Galina Port de Bras, eine Dragqueen aus, nein, nicht Tel Aviv, sondern ausgerechnet dem konservativeren Jerusalem. Dazu noch die tatkräftige Drusin Samira aus Isfia im Carmel-Gebirge und Tsega Melaku, die 16-jährig 1984 aus Äthiopien ohne Sprachkenntnisse nach Israel kam und heute Radiodirektorin ist.

Und das Grande Finale bildet das bewegende Porträt von Adina Tal, 61, Gründerin und Leiterin des Na-Laga'at-Theaters in der Hafenstadt Jaffa, einer Staunen machenden Compagnie, die rund um den Globus mit großem Erfolg gastiert. Dabei sind alle Ensemblemitglieder Taubblinde. Das Konzept lautet daher: Kommunikation via Berührung. Deshalb auch der Name Na Laga'at, bitte berühren.

Natürlich ist hie und da im Wechsel der verschiedenen Szenerien eine mal größere, mal entferntere Sympathie zu spüren. Mehr hätte man gerne erfahren über die Berufssoldatin Limor Shabtai, vierfache Mutter, Oberstleutnant der Armee und stellvertretende Beraterin des Generalstabs in Frauenangelegenheiten; und noch viel mehr über "Mutter Karaliah" und die Black Hebrews im Hebrew Village von Dimona, der Stadt in der Wüste Negev, einer schwarzen veganen Lebensgemeinde, die in den 1960ern via Westafrika nach Israel immigrierte. Die über 70-jährige Karaliah, im Alabama der Segregation aufgewachsen, ist das weise Herz der 3000 Seelen zählenden spirituellen Community.

Ein kluges Buch ist dies, eines, das Mut gibt und Vitalität vermittelt anhand der aktiven Leben und des Engagements der Frauen für ein besseres, selbstbestimmtes und menschlicheres Leben. Ein Buch, das ein gänzlich anderes, reich facettiertes Bild heutigen Frauenlebens in Israel jenseits kurzatmiger Newshappen zeichnet. (Von Alexander Kluy, Album, DER STANDARD, 13./14.9.2014)