Mithu Sen: "naming the nameless" von 2014 (Detailansicht)

Foto: Galerie Krinzinger

Wien - Nachdem eines ihrer auf Bengali verfassten Gedichte falsch ins Englische übersetzt worden war, zog die in Delhi lebende indische Künstlerin Mithu Sen Konsequenzen. Diese sind nun Teil ihrer Ausstellung A ° Void in der Galerie Krinzinger.

Sen hat ihre Lyrik nun auf den "Schatten" der Sprache reduziert: verfasst in einer "asemischen" Pseudoschrift und - wie in ihrer Soloperformance I Am a Poet zur Eröffnung ihrer Schau - als klangmalerische Sound-Poetry vorzutragen. In einem der Räume der Galerie ist ein Pult mit Mikrofon aufgestellt, an dem die Besucherinnen und Besucher selbst Lautmalerei betreiben können.

Diese Dichtung aus Sprachschatten korrespondiert mit den in A ° Void präsentierten Zeichnungen der Künstlerin - Papierarbeiten hinter Plexiglas. Wer sich erst einmal darüber wundert, warum die Scheinwerfer im Raum immer wieder ausgehen, was dem Raum einen langsam pulsierenden Rhythmus verleiht, hat bald ein Aha-Erlebnis: In das Glas der gerahmten Bilder sind feinste Zeichnungen eingraviert, deren Linien, sobald das Licht darauffällt, wie mit dem Bleistift gezogene Schatten aufs Papier werfen.

So bringt Sen eine meditativ wirkende Wiederholungsschleife in die Lektüre ihrer Blätter, eine Projektion, die ihren so zarten wie beunruhigenden Darstellungen eine gespenstische Atmosphäre verleiht: Tongues That Don't Stop Wounding, Home, A Temporary Place oder Between Life and What Is Living lauten einige Titel. Böse Zungen schießen das Papier blutig, ein Haus brennt und menschliche Figuren qualmen.

In den "privaten Mythologien" von Mithu Sen vibriert brutale Verstörung. Da ist eine Gewalt zu spüren, die unter anderem auch an jene Frauenmorde in Indien erinnert, die das in Europa oft beschworene, verklärte Bild des Landes in jüngerer Zeit weitgehend zerstört haben.

Sich verfinsternde Sprache

Wenn Mithu Sen sich in ihrer Performance I Am a Poet - freundlich und weder devot noch anklagend oder kompromittierend - einmal vor einen Besucher der Galerie hinkniet, mischt sich diese Gewalt, wie sie auf ihren Zeichnungen zu sehen ist, ein. Die Schatten der fein ziseliert geschriebenen, live aber mit fester Stimme vorgetragenen Sprache werden davon um einige Grade dunkler.

Die einfachen Posen, die Mithu Sen einnimmt, während sie mit expressivem Gesichtsausdruck spricht, scheinen sich mit den gezwungenen Körperhaltungen der entstellten Figuren in Verbindung zu setzen. Diese Verbindung ist so ambivalent wie die Umarmungen, die die Performerin am Publikum ausführt, oder eben wie die feine Darstellung ihrer grausamen Motive. Und das irritiert nachhaltig. (Helmut Ploebst, Album, DER STANDARD, 13/14.9.2014)