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Im Osten der Ukraine wird weiter gekämpft. Der Zugang durch die Checkpoints bleibt Journalisten verwehrt.

Foto: EPA/ROMAN PILIPEY

In Konstantinowka endet die Ukraine - zumindest für die Eisenbahn. Nachdem im Sommer Gleisabschnitte vor Donezk gesprengt wurden und der Bahnhof unter Beschuss geriet, wirft der Fernzug aus Odessa nun schon in Konstantinowka alle Passagiere raus. "Nach Donezk werden wir uns irgendwie durchschlagen", sagt Olga, eine etwa 45-Jährige mit kurzem blondem Haar und blaugrauen Augen, die mit ihrem Mann im Abteil sitzt.

Das Paar ist für einige Tage nach Kiew gefahren, will aber Donezk nicht ganz verlassen, obwohl es keine Sympathie für die Rebellen hegt. "Die können nur plündern und zerstören", sagt Olga. Sie ist gegen die Abspaltung von der Ukraine; einer ihrer Söhne lebt in Charkiw, der zweite in einem Ort im Gebiet Donezk, der "inzwischen von der ukrainischen Armee befreit wurde", wie sie sagt.

"DVR"-Schriftzug an Wänden

Hoffnung auf ein Ende der Rebellenherrschaft in Donezk haben die beiden nicht. Ein Sturm würde viele zivile Opfer fordern, auch wenn inzwischen rund 300.000 Einwohner die einstige Millionenstadt verlassen haben. An einen freiwilligen Abzug der aufständischen Milizen glaubt Olga aber auch nicht. "Sie verstecken sich hinter unserem Rücken", klagt sie. Sie wirkt verloren und niedergeschlagen in diesem Moment.

Bis Anfang Juli gehörte auch Konstantinowka noch zur von Separatisten ausgerufenen "Donezker Volksrepublik" (DVR). Zerstörungen weist die Stadt im Gegensatz zu Slawjansk weiter im Norden nicht auf. Die Rebellen haben sich hier kampflos ins 60 Kilometer südlichere Donezk zurückgezogen. "DVR"-Schriftzüge an einer Hauswand zeugen aber davon, dass sie immer noch Anhänger hier haben.

"Wollen und einmauern"

Längst nicht alle Einwohner sind gut auf die Kiewer Führung zu sprechen: Auf dem Markt schimpft eine ältere Verkäuferin laut über den bizarren Plan, eine Mauer zu errichten. "Was soll der Unsinn? Wenn die uns einmauern wollen, sollen sie uns doch lieber gehen lassen und ihr Militär zurückziehen", meint sie.

Hinter dem Markt ist eine große Wiese. Zu besseren Zeiten diente sie als Fußballfeld, wie die zwei zwar netzlosen, dafür in den ukrainischen Nationalfarben Gelb-Blau bemalten Tore beweisen. Doch an diesem Morgen hütet nur eine alte Frau ihre Ziegen darauf. Worum es bei den Kämpfen gehe und gegen wen man kämpfe, verstehe sie nicht. "Wovon wollen die sich abtrennen, wir waren doch immer zusammen", sagt sie auf Ukrainisch, räumt aber ein, dass sie Politik nicht sonderlich interessiere. "Für mich ist das Wichtigste, dass es friedlich ist und die Rente bezahlt wird", meint sie.

Über Umwege

Am Bahnhof sind derweil die meisten Reisenden vom Zug in Busse oder Taxis umgestiegen. Schnell sind alle Plätze weg, ein Busfahrer warnt aber: "Nur wer eine Donezker Registrierung vorweisen kann, kommt durch die Straßensperren." Doch Taxifahrer Wladimir ist bereit, auch so nach Donezk zu fahren. Weil die direkte Straßenverbindung dahin schwer beschädigt und erst am Vortag wieder beschossen wurde, rät er zu einem Umweg: "Wenn wir statt von Norden von Westen aus nach Donezk fahren, kommen wir vielleicht auch an den Checkpoints vorbei, da dort weniger streng kontrolliert wird", mutmaßt er.

Die erste Sperre am Stadtrand lässt der graue Pkw der russischen Marke Moskwitsch, von dem Wladimir vorsichtshalber das Taxizeichen abgenommen hat, unbehelligt hinter sich. Die Soldaten winken das Auto einfach durch. Im großen Bogen nähert sich der Wagen dann Donezk; an mehreren Stellen weist Wladimir auf Krater im Asphalt hin. "Das stammt von der Artillerie", sagt er und lenkt reaktionsschnell daran vorbei.

Gefechte zu gefährlich

Nach zwei Stunden Fahrt taucht 20 Kilometer westlich von Donezk noch eine Straßensperre des ukrainischen Militärs auf. Die Soldaten sind nervös, alle Fahrzeuge werden angehalten und kontrolliert. Den Moskwitsch winken sie an den Straßenrand. Der ausländische Pass mit russischen Stempeln und Einreisevermerken von der Krim lässt Verdacht aufkommen. Die meisten Uniformierten stammen aus der Westukraine und wittern einen russischen Spion vor sich.

Der Anführer, ein bärtiger junger Mann, ist weniger feindlich gesinnt, auch wenn er während des Gesprächs weiter am Verschluss seiner Kalaschnikow spielt, seinen Namen nicht nennen will und sich selbst als Nationalisten bezeichnet. "Nationalisten haben mit Faschisten nichts zu tun, das ist billige Kreml-Propaganda. Wir wollen nur die Ukraine verteidigen," erklärt er in tadellosem Russisch.

Artillerie statt Waffenruhe

Er lässt sich Gepäck und Laptop zeigen, telefoniert dann lange, um sich Anweisungen zu holen. "Ich kann Sie nicht durchlassen"; das sei wegen der Gefechte zu gefährlich. Den Einwand, dass doch eine Feuerpause vereinbart worden sei, wischt er fort: "Die Waffenruhe existiert nur auf dem Papier", beschuldigt er die Rebellen, weiter zu kämpfen. "Vielleicht ist es auf der Südroute möglich, nach Donezk zu kommen, aber eine sichere Fahrt kann ich nicht garantieren", rät er dann.

Wladimir nimmt die empfohlene Abzweigung nur ungern. Er kennt sich in dem Gebiet nicht mehr aus, fürchtet, zwischen die Fronten zu geraten. Ganz unbegründet ist die Angst nicht: Plötzlich ist das Dröhnen der Artillerie zu vernehmen. Den Geräuschen nach sind die Einschläge einige Kilometer weit weg, zu sehen ist nichts. Doch Wladimir hat genug. "Wenn ich tot bin, nützt mir das Geld nichts mehr", sagt er und wendet. "Es wird Zeit, dass die Typen endlich wirklich Frieden schließen! Es gib Wichtigeres in diesem heruntergewirtschafteten Land zu tun, als zu schießen", lautet sein Fazit, als das Taxi wieder in Konstantinowka ankommt. (André Ballin aus Konstantiniwka, DER STANDARD, 12.9.2014)