Taumel des Krieges im Hochgebirge: Marko Nabersniks Weltkriegsdrama "Die Wälder sind noch grün".

Foto: Thimfilm

Wien - Mit großartigem Ausblick leben die drei Soldaten auf engstem Raum. In der Ferne ragen die steilen Felswände der Julischen Alpen empor, irgendwo unten im Tal fließt für die Männer unsichtbar der Isonzo. Der Kriegsalltag für die Österreicher besteht darin, von ihrem Posten im Hochgebirge die Bewegungen des Feindes rechtzeitig zu erkennen und mittels Feldtelefons an das Hauptquartier durchzugeben. Die kleine, in einer Doline versteckt gelegene Hütte ist das Pendant zu den Schützengräben an der Westfront: ein dauerhaftes Provisorium.

Auf den ersten Blick merkt man den drei Männern die Kriegsmüdigkeit an, die im August 1917 längst um sich gegriffen hat. Ein neues Maschinengewehr wird positioniert, doch die Hoffnung auf dessen erfolgreichen Einsatz bei der nahenden elften Schlacht am Isonzo ist gering. Der böhmische Hauptmann Kopetzky (Simon Serbinek) wahrt seine großbürgerliche Attitüde auch hier oben, für den jungen, unerfahrenen Kärntner Handwerkersohn Lindner (Michael Kristof) ist der Krieg ein irreales Schauspiel. Und noch ehe man als Zuschauer seinen Platz in diesem Szenario gefunden hat, stirbt der dritte Soldat beim jäh einsetzenden italienischen Artillerieangriff. Der Weltkrieg ist nun zum Zweipersonenstück geworden.

Bevor sich die beiden Überlebenden in die Baracke zurückziehen und auf Rettung warten, wird man aber Augen- und vor allem auch Ohrenzeuge jener naturalistischen Inszenierung von Krieg als Chaos, die seit Jahren das Genre neu bestimmt: Die Schmerzensschreie des schwer verwundeten Hauptmanns und die Hilflosigkeit des einfachen Soldaten gehen einher mit dem Gefühl absoluter Orientierungslosigkeit. Sogar wenn der Morgen graut und der Verletzte mühsam in den Unterstand transportiert wird, wirkt der Taumel der Nacht noch nach.

Der slowenische Filmemacher Marko Nabersnik begnügt sich in Die Wälder sind noch grün nicht mit dem Postulat von der Sinnlosigkeit des Kriegs und der damit einhergehenden Frage nach dem Verhalten im Ausnahmezustand. Im Gegenteil ändert das neue, durch Abhängigkeit bestimmte Verhältnis zwischen Hauptmann und Soldat nichts an der Hierarchie: Zwar bekommen Vorgesetzter und Untergebener jeder seine Geschichte, doch die unterschiedlichen sozialen Klassen und Religionen haben nach wie vor - oder eben jetzt erst recht - miteinander auszukommen. Vielleicht macht der Tod alle gleich, der Krieg tut dies sicher nicht.

Wie sehr dieser Film seine Figuren wiederum als austauschbare Marionetten in einem für sie undurchschaubaren Spiel betrachtet, zeigt sich anhand eines gespenstischen Auftritts ihres Generals, der wie der Feind bis knapp vor Ende unsichtbar bleibt. "Wenn der Krieg nicht wär', könnt' ich nach Haus gehen durch die Wälder, die noch grün sind", meint Lindner. Ob er jemals dort ankommen wird, weiß er nicht. (Michael Pekler, DER STANDARD, 12.9.2014)