Trotz Waffenruhe wird in der Ostukraine weiterhin geschossen. Am Mittwochvormittag war das periodische Dröhnen der Artillerie weit im Umkreis der Donbass-Hauptstadt Donezk zu vernehmen. Die Geräusche stammen offenbar von Gefechten um den Flughafen. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, die Feuerpause zu missachten. Ein Sprecher Kiews teilte später mit, die am Flughafen verschanzten Regierungstruppen hätten eine gepanzerte Kolonne der Rebellen vernichtet. Diese wiederum bezichtigen das ukrainische Militär, die Waffenruhe für eine Umgruppierung der eigenen Kräfte zu nutzen.
Die Umgruppierung bestätigte Petro Poroschenko, der bei einem Treffen mit der Regierung wenig Optimismus versprühte: "Gott weiß, wie lang die Feuerpause noch dauern wird", klagte der ukrainische Präsident über "Provokationen der Terroristen". Kiew werde aber alles in seiner Macht Stehende tun, um den Frieden zu erhalten, versprach er. Die Umgruppierung diene keinem neuen Angriff, sondern der Festigung der eigenen Stellungen.
OSZE will Drohnen schicken
Positiv ist seinen Angaben nach, dass trotz vereinzelter Scharmützel keine umfassenden Kampfhandlungen stattfinden.
Bei einem Telefonat mit Russlands Präsident Wladimir Putin äußerten sich beide Staatschefs daher trotz der Schusswechsel zufrieden mit der bisherigen Umsetzung des Minsker Abkommens. Die OSZE will mit Drohnen die weitere Einhaltung der Feuerpause überwachen.
Auf eine gewisse Entspannung soll wohl auch Poroschenkos Aussage, Russland habe "70 Prozent seiner Truppen aus der Ukraine abgezogen", hindeuten. Nachprüfen lässt sich das nicht. Moskau dementiert ohnehin, überhaupt Soldaten in das Nachbarland geschickt zu haben.
Trotz der Entspannungssignale, die der Kreml aussendet, bleibt die ukrainische Führung gegenüber Moskau ablehnend. Poroschenko unterzeichnete ein neues Gesetz, mit dem mutmaßliche finanzielle Unterstützer der Rebellen auf eine Sanktionsliste gesetzt werden. Auf der schwarzen Liste der ukrainischen Regierung sollen bereits 172 Personen und 65 russische Konzerne stehen, darunter auch Gasprom.
Kiew sieht russischen Abzug
Darüber hinaus hat die Ukraine die ersten Arbeiten am umstrittenen "Mauer"-Projekt gestartet. Laut dem Sicherheitsrat wurden Befestigungsanlagen an einzelnen Abschnitten der ukrainisch-russischen Grenze in Betrieb genommen. Die kostspieligen Grenzanlagen sollen innerhalb eines halben Jahres aufgebaut werden.
Während sich die Ukraine damit nach Osten abschottet, erwartet das Außenministerium, spätestens 2015 beim nächsten Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Riga ein "klares Signal" von der EU über die eigenen Beitrittsperspektiven. Weiters treibt Kiew die Annäherung an die Nato voran.
Speziell die ukrainischen Nato-Pläne rufen in Moskau Nervosität hervor. Putin sagte auf einer Sitzung zur Planung des russischen Verteidigungsetats, die Nato nutze die Ukraine-Krise zur Aufrüstung und Wiederbelebung der Militärallianz. Bei der Sitzung wurde die mögliche Schaffung eines globalen Erstschlagsystems angekündigt. (André Ballin aus Konstantiniwka, DER STANDARD, 11.9.2014)