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Ein großer letzter Part für einen Ausnahmeschauspieler: Philip Seymour Hoffman in "A Most Wanted Man".

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Der niederländische Regisseur Anton Corbijn.

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Wien - Erst ganz am Ende, in einem Moment der bodenlosen Enttäuschung, bricht die Wut aus ihm hervor. Bis es so weit ist, haben wir Günther Bachmann als einen wachsamen, geschmeidigen und sehr überzeugenden Profi kennengelernt, der nie die Beherrschung verliert. Jeder Schritt, den er setzt, scheint sich der langen Erfahrung in seinem Metier zu verdanken. Aber hinter der Professionalität ist auch die Erschöpfung zu erkennen, ein heimliches Wissen darüber, dass man nur selten an das Ziel gelangt, das man sich anfangs gesteckt hat.

Bachmann ist Spion, er infiltriert verdächtige Milieus und versucht damit terroristischen Aktivitäten zuvorzukommen. Verkörpert wird er in Anton Corbijns Film A Most Wanted Man von Philip Seymour Hoffman. Es ist eine seiner letzten großen Rolle (neben der Literaturverfilmung God's Pocket, einem Serienauftritt und dem Nebenpart in Die Tribute von Panem ), und man kommt nicht umhin, in der getriebenen Figur ein Abbild des Ausnahmeschauspielers selbst zu erkennen.

John le Carré, von dem die Buchvorlage stammt, verfasste für die New York Times einen Erinnerungstext über Seymour Hoffman, in dem er diesen Gedanken noch weiter entwickelte. Philip, schrieb er, musste die Dialoge mit seiner Figur wohl allein mit sich geführt haben und wäre dabei zweifellos auf morbide Fragen gestoßen: "An welchem Punkt verliere ich jedes Gespür für das richtige Maß? Oder warum bestehe ich darauf, mit der ganzen Sache weiterzumachen, wenn ich tief im Inneren doch weiß, dass es nur in einer Tragödie enden kann?"

Regisseur Anton Corbijn lässt sich auf solche Spekulationen über Hoffmans Arbeitsweise im Standard-Gespräch nicht ein. Er könne dessen damalige Verfassung nicht beurteilen, obgleich auch er gewisse Parallelen Seymour Hoffmans zu seiner Rolle erkennen kann. "Als Schauspieler ließ er nicht zu, dass sich ihm irgendetwas in den Weg stellte. Er fand immer einen Weg zu seiner Figur, und es war ihm ziemlich egal, ob er dafür zu Menschen grob sein musste. Das mochte ich an ihm. Er war nicht per se unangenehm, doch wenn es die Arbeit erforderte, konnte er es sein." Schnell setzt Corbijn noch hinzu: "Als Mensch war er viel einfacher, ein ganz toller Gefährte."

Schauspiel, das beflügelt

A Most Wanted Man ist nach Control und The American der dritte Kinofilm des niederländischen Regisseurs, der davor als Fotograf Karriere machte. Seymour Hoffman hätte am Set offenbar gemerkt, dass Corbijn in der Arbeit mit Schauspielern noch immer dazulernte. "Anfangs muss man erst ein Gleichgewicht finden, das ist für mich als Regisseur nicht anders als für Schauspieler. Ich weiß, was ich will, und Philip war auch recht stur", erzählt der Regisseur über die Zusammenarbeit. "Es gab längere Diskussionen, aber wir fanden einen Weg, und am Ende lief es richtig gut. Ich ließ Philip aber nicht auf meiner Nase herumtanzen."

Durch den internationalen Cast fanden sich auch neue Synergien. Die Arbeit mit Nina Hoss, die Bachmanns Assistentin spielt, und jene mit Martin Wuttke hätten Seymour Hoffman besonders angespornt: "Wenn ein guter Schauspieler auf einen anderen guten Schauspieler trifft, dann beflügeln sie sich gegenseitig."

Bachmann ist ein Spion alter (John-le-Carré-)Schule, auch wenn er nicht im Kalten Krieg, sondern im gegenwärtigen Hamburg aktiv ist. Das Setting wurde an den spätestens nach 9/11 entstandenen Ruf der Stadt als Drehscheibe für Terroristen angepasst. Glamourös ist die Arbeit der Spione nicht. Corbijn lässt den Druck aus dem Agentengenre, das dieses mit Filmen wie jenen der Bourne-Trilogie aufgebaut hat. Hier arbeiten die Agenten in gewöhnlichen Büros und verfügen über ein Netzwerk, das wie ein Garten gepflegt werden muss.

Das Leben eines Spions sei eben so alltäglich, darauf insistiert Corbijn. "Es ist eben nicht wie in einem Actionfilm, sondern näher dem, wie wir es zeigen. Etliche Arbeitsschritte sind regelrecht fad, der Job besteht viel aus Warterei und der Hoffnung, dass etwas passiert. Ich mag die Vorstellung, dass es Leute wie Bachmann als Spione gibt. Dieses ganze Testosteron-gelenkte Actionzeug ist nur eine männliche Fantasie."

Corbijn bezeichnet A Most Wanted Man deshalb auch nicht als Spionagethriller, sondern als spannenden Spionagefilm - ein feiner, aber entscheidender Unterschied. Das Geschehen konzentriert sich um die Strategien, wie man mit einem aus Tschetschenien kommenden (Ex-)Terroristen umzugehen habe. Bachmann und sein Team setzen auf Vertrauensbildung, während sich um sie herum die Fronten erhärten. Es wird deutlich, dass es auch ein Interesse der Politik an der Perpetuierung von Feindbildern gibt.

Für Corbijn sei es wichtig gewesen, keine Karikaturen zu zeichnen. "Die Zusammenhänge sind komplizierter, man kann die Welt nicht in Gut und Böse aufteilen. Die Gesellschaft ist seit 9/11 auf unerträgliche Weise polarisiert. Und es ist seitdem nur noch schlimmer geworden. Ich wache optimistisch auf, und wenn der Tag vorüber ist, bin ich pessimistisch."

Diese Gemütsverfassung habe den Film stilistisch beeinflusst. "Ich wollte, dass der Film herbstlich wirkt, weil wir uns auch als Menschheit in einer vergleichbaren Ära befinden." Eine Anschauung, die auch mit der Art und Weise harmoniert, wie sich Bachmann durch dieses Minenfeld bewegt. Er verkörpert ein Ethos, das nicht mehr gefragt ist, und das weiß er auch. Philip Seymour Hoffman verleiht diesem Gefühl oft mit ganz geringer Dosierung Nachdruck. Das war seine Kunst. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 11.9.2014)