Wien - "Statt die Vergangenheit zu restaurieren, repariert lieber den Geisteszustand des Staates!" Die krasse, in Form eines Hip-Hop-Videos vorgetragene Ansage galt der Stadtpolitik Istanbuls, weil dort das Romaviertel Sulukulu dem Erdboden gleichgemacht wurde. Künstler Halil Altindere hatte den Protestsong Wonderland 2012 zusammen mit einer Gang aus dem zerstörten Grätzel aufgenommen.
Auch in Hamburg richten Künstler und Anrainer den Investoren und der Politik ihre musikalischen Grüße aus: "United we stand. Divided we fall. Our backs against the wall" etwa der Refrain zu Echohäuser vom Kollektiv The Good,Tthe Bad & The Ugly, hinter dem u.a. Musiker wie Thomas Wenzel (Goldene Zitronen, Die Sterne) und Ømmes Fröhling (One Drop Posse, Di Iries) stehen. "Die Fratze des Teufels steht vor unserer Tür, bayrische Babylonier mit Machtgespür" und "Dividendenregen und Kaviarträume nehmen uns unsere Freiräume", heißt es dort weiter. Der besungene Dämon der Gentrifizierung ist der Investor Bayrische Hausbau, der die Esso-Häuser, einen Gebäudekomplex in St. Pauli mit 110 Wohnungen und umgebender Infrastruktur für eine Neubebauung abreißen wollte - und dies wegen eines neuen Gutachtens inzwischen auch getan hat.
Ausdruck des Scheiterns sind die Videos und andere gemeinschaftliche Gebärden des Protests dennoch nicht. Vielmehr sind die aktuell in der Secession im Rahmen des Projekts Utopian Pulse präsentierten Aktionen Ausdruck dessen, dass Utopien nicht allein am Reißbrett existieren können; stattdessen müssen die Ideen unter die Leute, und zwar ganz ungeachtet dessen, wie laut einem von der vermeintlich vernünftigen Seite "Geht nicht", "Keine Alternative" entgegenschallt. Pulsierende Utopien also - wie es der Titel besagt.
Ausstellung im klassischen Sinne ist Utopian Pulse. Flares in the Darkroom nicht, vielmehr sehen es die Künstlerkuratoren Ines Doujak und Oliver Ressler als Forschungsprojekt. Das klingt wenig lustvoll, ist - wie häufig bei künstlerischer Forschung - in der Realität gar nicht so knochentrocken und didaktisch, aber eben begrifflich weniger ausgelutscht als etwa "Diskursplattform". Dies würde es zwar schon eher treffen, sind doch die Einheiten der Sieben-Stufen-Forschung als Salons angelegt. Und auch deren Gestaltung bewegt sich wieder fern klassischer Assoziationen: Sie hat mit Silberglitzer-Vorhang-Separées ja sogar eher etwas Rotlicht-Verruchtes. Dazwischen in Schablonentechnik aufgesprühte Agitation: "Bewaffne Deine Wünsche!" oder "Verräumliche Dein Begehren!" - Vielseitige visuelle Gesten und Begriffe, die der schnellen Schubladisierung zuwiderlaufen.
Kurator des ersten von sieben, wöchentlich wechselnden Salons ist Christoph Schäfer, Künstler und Aktivist der "Recht auf Stadt"-Bewegung, einem vom Stadttheoretiker Henri Lefebvre geprägten Slogan. Altinderes kraftvolles Videostatement kennt Schäfer von der Istanbul-Biennale 2013, wo er selbst - nur wenige Wochen nach den Gezi-Demonstrationen - die einende Kraft der Proteste in rührende Zeichnungen übersetzt hatte: Wesen, so verschieden wie Aliens, friedlich vereint im Park.
"Public Happiness" heißt daher sein Wiener Salon (bis 16. 9.): Bei Utopie gehe es ihm um das Moment kollektiver Vorstellungskraft. Glücklichsein sei leider allzu sehr auf das Private beschränkt, während "public" eher institutionell als gemeinschaftlich verstanden würde. Er transportiert daher nicht nur die kollektive Energie von Istanbul in Form der Gruppe "Video Occupy" nach Wien, sondern auch die Aktionen der Hansestadt, die hier vielleicht eher Projektionsfläche sein können.
Der Abriss der Esso-Häuser sei keine Sache zwischen Bayrische Hausbau und Politik. "Hier muss passieren, was die Bürger wollen!", schleudert in einer Dokumentation ein Mann selbstbewusst den Investoren ins Gesicht. Worte transportieren, die dem Betrachter eine Haltung abringen - das kann Kunst leisten. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 11.9.2014)
Berichte zu den Ausstellungen von Diana Al-Hadid und Cinthia Marcelle folgen.