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Bittet um Aufschub: Finanzminister Sapin.

Foto: apa/epa/Yoan valant

Paris - Finanzminister Michel Sapin gab am Mittwoch bekannt, das französische Budgetdefizit werde im kommenden Jahr 4,3 Prozent betragen. Das ist kaum weniger als im laufenden Haushaltjahr (4,4 Prozent) und sogar etwas mehr als 2013 (4,2 Prozent). Von einem Rückgang des Defizits kann also nicht die Rede sein, obwohl Sapin noch vor wenigen Wochen erklärt hatte, er werde das Defizit 2015 auf 3,8 und danach auf drei Prozent drücken.

Als Grund für die neue Überschreitung der EU-Vorgaben nennt Sapin die Wirtschaftsstagnation und kurioserweise die Inflation. Nach einem Nullwachstum in der ersten Jahreshälfte veranschlagt er die Zunahme des Bruttoinlandproduktes (BIP) bis Ende Jahr nicht mehr auf 0,5, sondern nur noch auf 0,4 Prozent. Außerdem sei, so der Minister, die Inflation im Juli unerwartet auf 0,5 Prozent gesunken, was die erwarteten Einnahmen drücke. Eine tiefere Inflation verringert allerdings auch die Staatsausgaben für die - in Frankreich an die Teuerung gebundenen - Sozialhilfen. Ökonomen bezeichnen Sapins Begründung deshalb als "Ausrede" oder "Manipulation".

Dass Paris die EU-Vorgaben missachtet, hat in Wirklichkeit politische Motive: Die ohnehin geschwächte Regierung steht unter massivem Druck, flaue Konjunktur über Staatsinvestitionen anzukurbeln und das Haushaltdefizit vorläufig schlittern zu lassen. Der sozialistische Premier Manuel Valls muss sich am Dienstag einer Vertrauensabstimmung im Parlament stellen und braucht die Stimmen der Parteilinken. Die einflussreiche Sozialistin Karin Berger forderte Valls auf, im Interesse des Wachstums "keine neuen Einsparungen" vorzunehmen. Sapin erklärte hingegen, er wolle 2015 wie geplant 21 Mrd. Euro an Staatsausgaben einsparen. Dies machen in Frankreich 57 Prozent des BIP aus.

Steuererhöhungen kommen für Hollande und Valls aus innenpolitischen Rücksichten ebenfalls nicht in Frage. Daher verzichten sie auf die bisher versprochene Budgetdisziplin. Sowohl die deutsche Kanzlerin Angela Merkel als auch Finanzminister Wolfgang Schäuble erinnerten an die Budgetregeln der EU, ohne Frankreich namentlich zu nennen.

Die EU-Kommission wird bald entscheiden müssen, ob sie Frankreich neuen Aufschub gewährt. Eine zentrale Rolle wird dabei der neue Wirtschafts- und Währungskommissar in Brüssel spielen - und dieser dürfte Franzose sein. Pierre Moscovici kennt die französischen Defizitmühen aus eigener Erfahrung, hatte er doch als Wirtschaftsminister die EU 2013 selbst um Aufschub gebeten.

Versprechen Nr. 9

Dafür hatte Moscovici in Brüssel hoch und heilig versprechen müssen, sein Land werde die Drei-Prozent-Grenze zumindest 2015 einhalten. Im Präsidentschaftswahlkampf 2012 hatte François Hollande sogar verkündet, er werde die Staatsfinanzen bis zu seinem Mandatsende ins "Gleichgewicht" - so sein schriftliches Wahlversprechen Nummer 9 - bringen. Damit wollte der nachmalige Staatschef das schaffen, was Schäuble nun erreicht - das Nulldefizit. Jetzt wird Frankreich davon nur träumen. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 11.9.2014)