Pavillon 15 des Spitalskomplexes am Steinhof. Zwischen 1940 und 1945 wurden hier "Am Spiegelgrund" hunderte Kinder Opfer der NS-Euthanasie.

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Wien - Pavillon 15 hat eine dunkle Geschichte. Er gehört zu jenen Gebäuden des Otto-Wagner-Spitals im Wiener Ortsteil Steinhof, in dem Mediziner im Namen des nationalsozialistischen Regimes zwischen 1940 und 1945 systematisch Kinder folterten und mindestens 789 Minderjährige töteten. Im Vorjahr wurden Vorwürfe laut, dass von den 1960er-Jahren noch bis in die 1980er-Jahre hinein behinderte Kinder in Pavillon 15 grausam misshandelt wurden und ihr Tod dabei in Kauf genommen wurde. Ein Prüfbericht des Wiener Krankenanstaltenverbunds (KAV) widerspricht nun diesem Verdacht.

Eine interne Arbeitsgruppe des KAV durchleuchtete die "historischen, rechtlichen und medizinisch-pflegerischen Fakten" im Umgang mit Patienten im "Haus für geistig behinderte Kinder und Jugendliche". Ehemalige Mitarbeiter und Zeitzeugen wurden befragt, Originaldokumente und Literatur gesichtet. Dabei "konnten keine Anhaltspunkte für vorsätzliche, strafrechtliche (wenn auch bereits verjährte) Vorgehensweisen" gefunden werden, heißt es in einer Zusammenfassung des Berichts.

"Unterbringung am Rande der Zivilgesellschaft"

Das Verhalten der Mitarbeiter habe den in den 1960ern bis 1980ern üblichen Betreuungs- und Behandlungsmethoden entsprochen, die mit den heutigen State-of-the-art-Methoden in keiner Weise vergleichbar seien. Das Personal habe den 50 bis 70 Kindern und Jugendlichen, die in diesem Zeitraum in Pavillon 15 untergebracht waren, "keine andere als in vergleichbaren Versorgungseinrichtungen dieser Zeit übliche Behandlung oder Betreuung zuteilwerden lassen".

"So unvorstellbar das aus heutiger Sicht auch klingen mag, das Ziel der Betreuung von körperlich und geistig schwerstkranken Menschen war bis in die 1980er-Jahre hinein nicht die Verbesserung ihres Zustandes, sondern die Unterbringung am Rande der Zivilgesellschaft und ein Beruhigen der Patienten durch entsprechende Medikation", resümiert die Arbeitsgruppe.

Erinnerungen an NS-Kultur

Es sei nicht nur unzeitgemäß, sondern "wie im tiefsten Mittelalter" gewesen, sagte hingegen Elisabeth Pohl im Vorjahr der Wochenzeitung "Falter". Pohl war ab 1981 Krankenschwester in Pavillon 15 und sprach von Kindern, die mit Strumpfhosen zu "Bündeln verschnürt" worden und mit ausgerenkten Armen und Beinen über Jahre hinweg stets sediert im eigenen Kot und Erbrochenem gelegen waren. "Man hat die NS-Kultur noch gemerkt", sagte Pohl. "Ich habe damals oft gedacht: Wenn ich gezwungen wäre, mein Kind hier abzugeben, ich würde es mit dem Polster ersticken."

In der Folge erinnerte sich ein ehemaliger Pathologie-Mitarbeiter im "Kurier", dass bis zum Greifen der Psychiatriereform Mitte der 1980er-Jahre jeden Monat durchschnittlich ein stark unterernährtes Kind aus Pavillon 15 an seinen Obduktionstisch überstellt wurde. Die häufigste Todesursache sei Lungenentzündung gewesen. "Das ist ganz klar. Wenn die Kinder den ganzen Tag ans Bett gefesselt sind und sich nie bewegen dürfen, bekommen sie rasch eine Lungenentzündung."

Pohl sprach auch von mehrfach behinderten Kindern, die regelmäßig im kalten Wasser einer Badewanne untergetaucht wurden. Auch dabei soll es zu Todesfällen gekommen sein, so der Pathologe. Nichts in den gesichteten Unterlagen habe auf solche grausamen Fälle hingewiesen, sagt nun Susanne Drapalik zu derStandard.at. Sie deckte in der dreiköpfigen Prüfkommission den medizinischen Part ab.

Bericht bleibt unter Verschluss

Pohl, auch heute noch als Krankenschwester tätig, hoffte bei Pavillon 15 auf eine ähnlich transparente Aufarbeitung wie zuvor bei den Misshandlungsvorwürfen im Wiener Wilhelminenspital. In diesem Fall veröffentlichte eine unabhängige Kommission unter Barbare Helige nach eineinhalbjähriger Recherche einen 344 Seiten starken Bericht.

Der Steinhof-Bericht hingegen bleibt verschlossen. Wegen der geringen Anzahl an Betroffenen könne die Abhandlung nicht publiziert werden, sagt KAV-Sprecherin Monika Sperber. Selbst anonymisiert seien Rückschlüsse auf Beteiligte möglich und eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte nicht auszuschließen, so Drapalik: "Ein Vergleich der beiden Berichte ist nicht zulässig."

Die Aufarbeitung der Wiener Psychiatrie nach 1945 soll jedenfalls weitergehen. Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt über umstrittene beziehungsweise rechtlich nicht gedeckte Behandlungsmethoden befindet sich laut KAV und der Wiener Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) in Planung. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 10.9.2014)