Natürlich klingt das jetzt wie eine Ausrede. Es ist auch eine. Denn: Natürlich war ich vor drei Wochen, als ich diesen Eintrag schrieb, im Eck. Übertraining. Zu wenig Ruhe. Zu wenig Schlaf. Ungesundes Futter. Aber dermaßen gegen die Wand zu fahren ist doch ein bisschen heftig. Aber: Es war so. Und mir eine Lehre.

Nur: Es war halt nicht ganz so. Doch ohne den anderen Läufer auf der Hauptallee hätte ich das vermutlich nicht mitbekommen. Und meiner Trainerin Sandrina Illes und mir wieder Denksportaufgaben gestellt, die so nicht zu lösen sind: Zwei Tage hintereinander nichts zusammenzubringen und nach einem Tag Pause fast wieder voll da zu sein ist nämlich seltsam.

Puls am Plafond

Erst recht, wenn es eine Woche darauf wieder passiert: Nach einer Serie normaler Workouts stand wieder "hohe Schrittfrequenz" auf dem Plan. Ich fühlte mich gut. Doch als die Frequenzeinheit begann, ging es wieder los: Puls am Plafond - bei Tempi, die fast unter "Regeneration" fallen. Kurze Schritte sind anstrengend. Aber sie hacken einen nicht um.

Dann sah ich den anderen. Die Hauptallee ist der Dorfplatz der Wiener Laufszene. Wenn da einer, den man zigmal gesehen hat, etwas komplett Seltsames tut, fragt man schon einmal. "Was hat sich deine Sandrina denn da einfallen lassen? Ministry of Silly Walks?", lachte er. Ich freute mich: No na ned schmeichelt Feedback-to-go. Aber "meine Sandrina" hat einen vollen Namen (Sandrina Illes) und ist mitnichten "meine Sandrina" - sondern "nur" meine Trainerin.

Trainerin und Duathletin Sandrina Illes.
Foto: Thomas Rottenberg

"Hohe Schrittfrequenz, mittleres Tempo", schnaufte ich. Er: "Seit wann sind 4:30 in unserer Liga mittleres Tempo?" Ich sah auf meine Uhr: Ich war langsamer. Zu langsam. Rund fünf Minuten sollte ich für einen Kilometer brauchen, und kam nicht unter 5:15. Obwohl es sich wie 4:30 anfühlte. Der andere: "Wenn das eine Fünfer-Pace ist, heiße ich Zwerg Bumsti."

Das Gute an der Hauptallee ist ihre genormte Ödnis: Alle hundert Meter hat irgendwer einen Strich am Straßenrand gemacht. Es gibt Kilometertafeln. Normalerweise ignoriere ich sie: Meine Uhr misst genauer, als es Hobbyläufer wie ich brauchen. Trotzdem: Auf Höhe der nächsten Kilometertafel drückte ich den Knopf. Manuelle Runde. Jetzt.

Einschub: Hier kommt ein "Cliffhanger". Der Lauf hat Pause - für einen kurzen Exkurs zur Lauf-Messtechnik.

Ich laufe mittlerweile fast ausschließlich mit der Polar V800. Das Flaggschiff des finnischen Laufcomputerriesen hat zwar Macken und Bugs (die nicht nur ich hier schon beschrieben habe, sondern auch Experten wie "Runtasia"-Kopf Walter Kraus ordentlich zerzaust haben). Sie ist trotzdem meine Lieblingsuhr: Unterwegs, beim Laufen und Radfahren, funktioniert sie perfekt. Und im Gegensatz zu meiner Nummer zwei (der Garmin Fenix2) hat sie ein Display, das man auch mit Sonnenbrille oder bei schlechten Lichtverhältnissen immer und gut ablesen kann.

Auch "Runtasia"-Kopf Walter Kraus kritisiert die V800 - verwendet sie aber dennoch selbst (hier: beim Rote-Nasen-Lauf 2014 im Prater).
Foto: Thomas Rottenberg

"Klar: Dass Polar mit der Nichtauslesbarkeit von GPS-Daten und der inexistenten Web-2.0-Kompatibilität beim Auf-den-Markt-Bringen ihres Spitzenmodelles Lichtjahre hinter jedem Mitbewerber liegt, ist peinlich. Allerdings schrieb mir Polar-Österreich-Sprecherin Julia Fuchs am 10. September in einem Mail: "Bzgl. Export Daten und Teilen wird es in den nächsten Wochen definitiv Updates geben, die dies dann auch ermöglich sollen." Versprochen ist ja auch ein Firmware-Upgrade, mit dem das Ding dann Schwimmzüge misst. Bei anderen Triathlonuhren ist das längst Standard.

Ein Zusatz zur V800 ist der neue Fußsensor. Den braucht man als Hobbyläufer eigentlich nicht. Weil das GPS ja - für Freizeitspotrtbedürfnisse - präzise genug ist. Aber wenn es um die Schrittfrequenz geht, ist es fein, nicht nur zu spüren, sondern zu messen. Polar schickte mir die Fußsonde vor Monaten zum Testen.

Die Polar V800 am Rad: auch mit Sonnenbrille oder bei blödem Licht gut lesbar.
Foto: Thomas Rottenberg

Fußsonden sind genauer. Sagen die Hersteller. Sagen Trainer. Sagen Athleten. Weil sie den Lauf messen, wo er stattfindet. Am Boden. GPS-Tracker suchen ständig Satelliten. Neben der sich in und aus der Bewegung ergebenden "natürlichen“ Ungenauigkeit um ein, zwei, drei Meter implementiert der Betreiber des GPS-Systems - das US-Verteidigungsministerium - auch "strategische“ Ungenauigkeiten. Nachvollziehbar: Dass die USA wenig Bock darauf haben, dass mit einem US-System US-Ziele präzise anvisiert werden, ist verständlich.

Der Fußpod.
Foto: Thomas Rottenberg

Dennoch: Für Normalläufer sind GPS-Tracker ausreichend. Auch, weil Sonden mühsam sind. Man muss sie kalibrieren. Nach Schuh, nach Untergrund - und Tempo. Aber dann sind sie unschlagbar.

Die Polar-Bluetooth-Smart-Sonde will die eierlegende Wollmilchsau sein: Sie kalibriert sich - sagen die Hersteller - selbst. Wie? Per GPS. Jubel. Jubel? Das Asset der Sonde ist doch, dass sie genauer ist, als jedes GPS es sein kann. Wenn sie genau kalibriert ist. Hm.

Es war Hans Blutsch, der mich auf diesen Widerspruch stieß. Wiens kompetentester Laufschuhändler hatte mir den Fußsensor am Tag, als ich ihn bekommen hatte, förmlich aus der Hand gerissen: "Ich hab den noch gar nicht gesehen.“ Ich überließ ihm die Sonde. Blutsch Urteil: "Ich habe eine Hauststrecke, die ich mit dem Zollstab vermessen habe. Die Sonde hat jedes mal falsch gemessen. Die Abweichung dürfte vom Tempo abhängen. Bei fünf Minuten am Kilometer war sie halbwegs exakt.“ Das Fazit: "Ich vermute, dass das eine Beta-Version ist. Ich würde damit derzeit nicht laufen“ Dennoch: "Momentangeschwindigkeiten zeigt die Sonde genauer als das GPS. Wenn die Kalibrierung stimmt.“

Zurück zum Frequenz-Lauf im Prater. Die Sonde war monatelang daheim gelegen. Ungenutzt. Für die Schrittfrequenz-Spielerei schnallte ich sie an. Und vergaß ein Detail. Laufuhren ziehen Sondendaten den GPS-Daten vor. Das passiert - erraten - automatisch. Wie es weiter geht, können Sie sich vermutlich selbst ausmalen.

Screenshot von den angeblich genau gemessenen Kilometern: 0,8 ist beinahe 1.

An der nächsten Kilometermarke nahm ich die erste Runde: 830 Meter. Vielleicht hatte ich irgendwo in einem Anfall von Sekundenschlaf versehentlich "Pause“ gedrückt. Nächste Kilometertafel. Die Sonde war präzise: 830 Meter. Nächster Kilometer. Der Finne bewies Schweizer Präzision: 830 Meter. Und so weiter.

Ich versuchte immer noch verzweifelt, die Sonden-Fünf-Minuten-pro Kilometer zu schaffen/halten. mit 170er-Puls ist Kopfrechnen schwer: 17 Prozent Abweichung bei knapp 5:30 pro Sonden-Kilometer ergeben eine tatsächliche Geschwindigkeit von fast einer Minute darunter. 4:30 - mit Trippelschritten. Bam, Oida!

"Beta-Testgerät"

Ich rekapitulierte: Beide Katastrophenläufe hatte ich mit Fußpod gemacht. Die Läufe danach ohne. Natürlich kann ich jetzt nicht mehr rausfinden, ob das Teil da auch dermaßen derart neben der Spur gemessen hat. Angefühlt hat es sich aber so. (Obwohl ich - keine Frage - ausgepowert war): Plötzlich fügte sich Einiges zusammen.

Zugegeben: Mein Mail an Polar war eher mäßig freundlich. Sandrina Illes atmete hörbar erleichtert auf. Hans Blutsch sagte, als ich ihn tags darauf besuchte, nur: "Ich kann das alles unterschreiben: Das ist ein Beta-Testgerät. Anders ist das nicht zu erklären.“

"Die Uhr weiß nichts"

Trainerin Illes wurde grundsätzlicher: "Wichtiger als alle technischen Hilfsmittel ist ein gut geeichtes Körpergefühl. Der ständige Blick auf die Uhr ist oft kontraproduktiv. Die Uhr weiß nichts. Nichts über den Wind. Nichts über meine Stimmung. Nicht, ob ich ausgeschlafen bin oder wie gesund ich mich fühle. Nicht, wie ich an dem Tag psychisch drauf bin. Nicht, mit wem ich laufe: Wichtiger ist es, zu lernen. Zu spüren, in welchem Intensitätsbereich man ist. Die Uhr ist manchmal der Feind des Körpergefühls.“

Freilich predige sie keinesfalls den Totalverzicht: "Was die Dinger können, ist schon auch großartig. Das sind Daten, mit denen ich als Trainerin viel anfangen kann. Genau deshalb muss ich bei Ergebnissen, wie denen vor ein paar Wochen, die Notbremse ziehen. Aber wir hinterfragen die Technik zu selten. Und viel zu spät.“ Die Schuld allein dem Konsumenten zuzuweisen, gehe aber auch nicht: "Bei so eklatanten Abweichungen sollte so ein Produkt gar nicht auf den Markt kommen.“

Taferlklasse. Die Kilometerangaben auf der Uhr mit denen auf der Tafel vergleichen (hier: Zoolauf 2014).
Foto: copyright floalbert.net

Das Polar-Servicecenter antworteten mir binnen Stunden und lapidar: "Da die automatische Kalibrierung per GPS funktioniert und dieses seit ca. 2 Wochen Probleme hatte, wird es deswegen zu Problemen gekommen sein.“ Als Handlungsanweisung kam der 0815-Tipp jedes Helpdesks, der sich nicht vorwerfen lassen will, gar keinen Rat gegeben zu haben: "Bitte führen Sie ein Update der V800 durch.“ Das tut die Uhr, sobald man sie an den Rechner anschließt, eh automatisch. Aber es gibt auch Plan B: "Falls die automatische Kalibrierung nicht oder schlecht funktioniert besteht immer noch die Möglichkeit den Sensor manuell zu kalibrieren!“

Ich wählte für den Frequenzlauf, der heute am Plan stand, Plan C: Der Knopf am Schuh blieb daheim. Siehe da: Alles passte. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 10.9.2014)