Neuburger sieht die "Reaktivierung alter Feindbilder".

Foto: privat

Schon sehr früh, als er sich intensiv mit Kritischer Theorie und Psychoanalyse beschäftigte, habe er erkannt, dass "die Fixierung auf einzelne Disziplinen den analytischen Blick eher vernebelt denn schärft" , erzählt Tobias Neuburger, derzeit Doktorand am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie an der Uni Innsbruck. Deshalb vertiefte er sich in mehrere Sozial- und Geisteswissenschaften.

Das Studium der Soziologie und Politikwissenschaft absolvierte der 29-jährige Stuttgarter von 2006 bis 2012 an der Uni Wien. Für seine Promotion erhielt er ein Stipendium im Rahmen des Forschungsschwerpunktes "Kulturelle Begegnungen - Kulturelle Konflikte".

"Gerade die Schattenseiten unserer Gesellschaft und deren Geschichte haben mich immer interessiert", sagt der junge Wissenschafter. Neuburger erforscht Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus, die Roma-und-Sinti-Feindlichkeit. Ins Zentrum seiner Arbeit rückte dabei mittlerweile Letztere, weil es "im universitären Betrieb - wie auch in der medialen Öffentlichkeit - ein kaum reflektiertes Randthema darstellt, obwohl antiziganistische Vorurteile und Klischees bis heute teilweise ungebrochen tradiert werden". Letzte Woche sprach Neuburger darüber auch auf der Konferenz "Contemporary Antisemitism and Racism in the Shadow of the Holocaust" an der Uni Wien. Im Vortrag ging es um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Antisemitismus und Antiziganismus und darum, welche "unterschiedlichen sozialen Funktionen beide Ressentiments übernehmen".

Sowohl Juden als auch Roma und Sinti unterstellte man über Jahrhunderte eine "parasitäre Existenzform" und "eine Art Verschwörung". Wobei manche der sehr weit zurückreichenden Anschwärzungen aus der Anfangsphase des Antiziganismus sich bis heute an den rechten Rändern der Gesellschaft halten und dort einen Link zu antisemitischen Ressentiments bilden: etwa der Mythos, Roma und Sinti seien "Erfüllungsgehilfen bei der Kreuzigung Christi" gewesen.

Doch Antiziganismus findet man auch in der Gesellschaftsmitte. "Im Rahmen der Bettlerdiskussion artikuliert sich eine aktualisierte Variante der Unterstellung einer Verschwörung der Kleinkriminalität - auch wenn die Existenz einer Bettlermafia bis heute noch niemand nachweisen konnte", sagt Neuburger. Ein Fall zeigte für den Wissenschafter die "Reaktivierung alter Vorurteile besonders gut": Die Berichterstattung über entführte Kinder in internationalen Medien "reproduzierte das rassistische Bild der kinderstehlenden ,Zigeuner'". In keinem der Fälle waren die Vorwürfe richtig, betont Neuburger. Selbst ihn habe die nahtlose Tradierung der Ressentiments überrascht.

Dass Antiziganismus weiter unreflektiert verbreitet werde, habe damit zu tun, dass "der nationalsozialistische Genozid an Roma und Sinti lange totgeschwiegen wurde oder dessen rassistischer Charakter geleugnet wurde". Das war beim Antisemitismus anders, doch auch hier gibt es neue Formen, wie zuletzt die Zunahme antisemitischer Gewalt in Europa währende des Gaza-Konfliktes deutlich machte: sogenannte Friedensdemos. "Antizionismus ist letztlich eine Form des Antisemitismus", sagt Neuburger. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 10.9.2014)