Es gibt einen Grund, die neue irakische Regierung, die Premier Haidar al-Abadi am Montagabend vorstellte, zu loben: Es gibt sie, und alles wäre noch viel schlimmer, wenn sie nicht zustandegekommen wäre. Aber um Abadi zu feiern, als hätte er den Stein der Weisen gefunden - wie es US-Außenminister John Kerry in einem Statement tut -, müssen die Ansprüche wirklich minimal sein.

Offenbar geben sich die USA damit zufrieden, dass im Irak erst einmal formal alles in Ordnung ist, sodass ihnen niemand vorwerfen kann, sie griffen, wenn sie den "Islamischen Staat" (IS) bekämpfen, zugunsten irakischer Interessengruppen ein. Vielleicht hat sich Washington tatsächlich damit abgefunden, dass der Irak zerfallen wird. Solange aber die IS die Szene beherrscht, müssen der Zerfall verhindert und die Teile noch irgendwie zusammengehalten werden. Also wurden Masseverwalter eingesetzt - die sich jedoch selbst für erbberechtigt halten.

Abadi hat die Regierung als Versorgungsanstalt für Politiker angelegt, die außerhalb gefährlicher wären als innerhalb. Das eklatanteste Beispiel ist der neue Vizepräsident Nuri al-Maliki, Abadis Vorgänger als Premier, der durch seine antisunnitische Politik an der großen IS-Krise mitschuldig ist. Wenn er Vizepräsident ist, schwindet auch die Bedeutung der ohnehin nur symbolischen Geste, einen Säkularen und einen Sunniten ebenfalls zu Vizepräsidenten zu machen.

Die Sunniten sind in der Regierung, aber es wird ihnen klargemacht, wer das Sagen in der irakischen Republik hat. Im letzten Moment wurde noch verhindert, dass ein ehemaliger schiitischer Milizenführer, Hadi al-Amiri, zum Verteidigungsminister gemacht wurde - während auf den Straßen immer mehr Sunniten schiitischen Fememorden zum Opfer fallen. Das Außenministerium wurde dem relativ neutralen kurdischen Inhaber Hoshyar Zebari weggenommen und dem schiitischen Expremier Ibrahim Jafari übergeben. Seine konfessionelle Amtsführung 2005 hatte maßgeblich dazu beigetragen, dass der Irak 2006 in den Bürgerkrieg abrutschte.

Bagdad bräuchte zur Beruhigung der eigenen Sunniten dringend einen guten Draht zu den arabischen sunnitischen Ländern, die den Sturz Saddam Husseins 2003 und alles, was darauf folgte, als Versuch betrachteten, den Irak gegen sie zu instrumentalisieren. Ein sunnitischer Außenminister wäre hilfreich gewesen, einer, der in Saudi-Arabien willkommen ist. Jafari ist es nicht.

Die ganze Konstruktion steht aber ohnehin auf tönernen Füßen. Die Kurden haben ihre Einwilligung nur gegeben, um die USA - die sie gegen die IS, aber auch gegen Bagdad brauchen - nicht zu verärgern. Und dass die Abstimmung im Parlament durchging, verdankt Abadi nur einem Defekt in der irakischen Verfassung: Dort ist nicht spezifiziert, ob "absolute Mehrheit" eine der Abgeordneten oder der Anwesenden bedeutet. Die meisten Regierungsmitglieder erreichten nicht einmal eine einfache Mehrheit aller Parlamentarier. In der Bevölkerung haben sie gar keine. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 10.9.2014)