Die hysterische Schauspieldiva und ihre undurchschaubare Assistentin: Julianne Moore in David Cronenbergs Hollywood-Porträt "Maps to the Stars".

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Regisseur David Cronenberg zeigt, welche Auswirkungen das Starsystem auf die Menschen hat.

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Prospero P

Wien/Cannes - David Cronenbergs Maps to the Stars ist kein gewöhnlicher Film über Hollywood. Der kanadische Regisseur zeigt die Traumfabrik als zynisches, jeder menschlichen Regung bares Geschäft. Im Brennpunkt stehen eine brutale Mentalität, eine fast schon plakative Getriebenheit und Gier, Inzest und Intrigen. Cronenberg vermisst die Entfernung zwischen den Niederungen einer Industrie und den idealisierten Vorstellungen, die wir uns davon machen.

Julianne Moore wurde als Schauspieldiva Havana Segrand, der ihr verblassender Ruhm zu schaffen macht, in Cannes ausgezeichnet. Selbst von Dämonen gejagt, bekommt sie in Agatha (Mia Wasikowska) eine Assistentin, die aus einer anderen zerstörten Familie stammt. Das Starsystem produziert bei Cronenberg die minderen Stellvertreter antiker Götter - durch die Bank beschädigte, verderbliche, verzweifelte Subjekte, die auf keine Realität außerhalb ihrer klatschgetränkten mehr verweisen.

STANDARD: "Maps to the Stars" wirft einen bitterbösen Blick auf das Starsystem. Man gewinnt den Eindruck, es gehe um einen Stamm, der nur mit den eigenen Neurosen beschäftigt ist.

Cronenberg: Genau so ist es, sogar hier in Cannes kann man das sehen. Man begegnet den unterschiedlichsten Menschen, aber wir sind alle vom selben Stamm. Wir verstehen das Kino, wie es funktioniert, wie man Filme verleiht etc. Wir sprechen alle dieselbe Sprache. Eine Woche nach uns wird es vielleicht einen Zahnärztekongress geben. Die sprechen ganz anders. Hollywood ist ein Mikrokosmos des Films. Man muss es sich als Cannes, 365 Tage im Jahr, vorstellen - da geht es natürlich nicht nur um körperliches Blut, sondern um das Blut der Kommunikation. Das Blut des Kinos, der Begierden und der ständigen Anspannung.

STANDARD: Das wäre dann aber ein Stamm mit vielen Opfern.

Cronenberg: Stammesleben ist eben harsch. Deshalb ziehen wir vor, anders zu leben. Wir bevorzugen Länder und Regierungen, da geht es weniger grausam und brutal zu. Hollywood ist nicht nur zu Außenseitern brutal, sondern auch gegenüber Insidern, die den Stamm betrügen. Wenn man dies wagt, wird man zerstört - und zwar unmittelbar. Es gibt kein Gesetz, keine Geschworenen. Es gab Leute, die waren sehr besorgt wegen Bruce Wagners Drehbuch.

STANDARD: Weil sein Blick als Insider zu kritisch ist?

Cronenberg: Sie haben gesagt, ich könne diesen Film einem Geschäft, das so gut zu mir war, nicht antun. Ein Produzent betrachtete es als Angriff auf all das, wofür er steht und gearbeitet hat.

STANDARD: Sie sagen selbst, der Film sei keine Satire, sondern die Realität - ist er vielleicht beides?

Cronenberg: Nicht wirklich, beides geht nicht. Man muss verstehen, was Satire wirklich bedeutet - als literarisches Genre. Dafür muss man an Gullivers Reisen denken, an Jonathan Swift, er schrieb bösartige Satiren. Sie waren jedoch nicht realistisch, sondern voller Monster, Riesen und fantastischer Elemente. Von meinen Film kann man sagen, er sei kritisch, nicht satirisch. Alle Dinge, von denen ich erzähle, sind passiert. Bruce Wagner hat die Dialoge oft genauso gehört. Ich habe zwar nie in Hollywood gelebt, aber ich hatte Meetings mit Studioproduzenten, und sie würden mir nicht glauben, was die alles gesagt haben. Sie würden rufen: Das ist Satire!

STANDARD: Bitte ein Beispiel!

Cronenberg: Nein, es würde viel zu lange dauern, die ganze Szene auszumalen. Aber es war absurd. Viele der Studioleute haben Macht, aber sie blicken nicht durch. Sie sagen Dinge, bei denen man am liebsten gleich wieder gehen würde. Ich habe nur gelacht.

STANDARD: Das haben Sie dann auch für die Inszenierung genutzt?

Cronenberg: Ja, ich habe das auch meinen Schauspielern gesagt. Es mag wie Satire wirken, aber lasst uns die Figuren ganz natürlich spielen. Es geht um eine emotionale Wirklichkeit, nicht um Übertreibung. Der Humor, wusste ich, würde von selbst entstehen.

STANDARD: Es gibt auch eine Metaebene in "Maps to Stars", den Bezug zu populären Mythen und zu weiter zurückliegenden - bis zur Antike. Betrachten Sie Hollywood als eine Art modernen Olymp?

Cronenberg: Es ist wie eine Religion. Jeder versucht, seine Bestimmung zu finden, eine Berühmtheit zu werden - dafür muss man über sich hinausgehen, mit der Natur in Verbindung treten. Man versucht, sich mit den großen Kräften des Universums zu vereinen. Auf bestimmte Art kommt man damit der Unsterblichkeit nahe. Man kann nicht sterben, wenn man Teil eines großen Ganzen ist. Deshalb ist es interessant, dass Celebrities zu Stars werden. Niemand denkt mehr an die Bedeutung des Wortes als Sternenkörper. Es ist wie in der Mythologie, wo Helden zu Sternbildern wurden. Hollywood ist die minderwertige Version davon.

STANDARD: Sie verwenden auch Elemente aus dem Horrorfilm, Geister beispielsweise. Da geht es allerdings nicht um das Erzeugen von Angst, nicht wahr?

Cronenberg: Zunächst einmal glaube ich nicht an Geister, zumindest nicht als übernatürliche Wesen nach dem Tode. Für mich sind das Geister der Erinnerung - ab einem bestimmten Alter wird man von seinen Eltern heimgesucht, obwohl sie schon lange nicht mehr leben. Man hört sie, fühlt sie. Sie existieren nicht getrennt von einem, nur im Kopf. Es geht darum, wie die Vergangenheit in der Gegenwart weiterlebt.

STANDARD: Auf die Konservierung der Vergangenheit versteht sich das Kino besonders gut. Kann es sich von seinen Mythen nicht befreien?

Cronenberg: Das muss nicht notwendigerweise etwas Schlechtes sein. Es kann auch schön sein. Meine Eltern sind etwa seit Jahren tot, und ich genieße die Erinnerung, das Gefühl, sie immer noch zu hören. In diesem Film sind damit vor allem negative Aspekte verbunden. Hollywood wird natürlich von seiner Vergangenheit verfolgt, von Marilyn Monroe, von James Dean, sogar von Humphrey Bogart, der sein Leben gelebt hat. Die Bilder sind sehr mächtig. Die ganze Welt wird von Bildern heimgesucht, aber Hollywood besonders. Weil es Filme auf der Leinwand sind, scheinen die Geister lebendig. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 10.9.2014)