Der Rohbau des Murray Grove Tower im Londoner Stadtteil Hackney. Das neunstöckige Holzhaus wurde mit österreichischem Brettsprerrholz gebaut.

Foto: KLH / Sissi Slotover-Smutny

Einsichten in ein hölzernes Einfamilienhaus in Klagenfurt (oben) und Außenansicht eines zehnstöckigen Holzhochhauses im australischen Melbourne (unten).

Foto: KLH, Emma Cross Photographer
Foto: KLH, Emma Cross Photographer

Graz - Während Sie bis zwei zählen, ist in Österreich schon wieder ein Kubikmeter Holz nachgewachsen. An die 2000 Einfamilienhäuser könnte man mit den Holzzuwachs eines einzigen Tages bauen. Als eines der waldreichsten Länder Europas wäre Österreich zum Eldorado der modernen Holzarchitektur prädestiniert - zumal in einer Zeit, die umweltverträgliches Bauen dringend nahelegt.

Aber: "Wir bauen hierzulande viel zu wenig mit Holz", ist Gerhard Schickhofer, Vorstand des Instituts für Holzbau und Hochtechnologie der TU Graz, überzeugt. Warum die Zurückhaltung? Aufgrund der neuen Möglichkeiten der Massivholzbauweise werde mittlerweile zwar mehr mit Holz gebaut, aber weit in die Höhe wage man sich nicht. Was fehle, sei vor allem eine neue, "holzadäquate Architektur", betont Schickhofer. "Bisher lehnt man sich noch zu sehr an die traditionelle Stahlbetonbauweise an."

Insbesondere beim Wärmeschutz und der Gebäudetechnik seien spezielle Lösungen erforderlich. "Die nötigen Entwicklungen dafür gibt es zwar schon, dieses Know-how hat sich in der heimischen Baubranche jedoch noch nicht auf breiter Basis durchgesetzt", bedauert der Forscher.

Als Vorreiter in Sachen Holzhochhäuser hat sich dagegen London etabliert, wo die Einwohnerzahl jährlich um rund 100.000 Menschen anwächst: Dort entstanden in den letzten Jahren Holzbauten mit bis zu zehn Stockwerken.

Dies funktioniere, so Schickhofer, weil man auch die Gebäudetechnik an die Bedürfnisse des Baustoffs Holz angepasst hat. So werden etwa sämtliche Leitungen nicht wie bei uns im Fußboden, sondern unter der Decke verlegt. "Kommt es zu einem Rohrbruch oder Feuchteaustritt, kann man einfach die Vorsatzschalen abnehmen und muss nicht den ganzen Fußboden aufreißen. Zudem wird der Schaden schneller bemerkt, wenn es von der Decke tropft."

Holztechnik made in Austria

In den nächsten Jahren sollen in London zigtausende Kubikmeter Brettsperrholz made in Austria für den mehrgeschoßigen Wohnbau eingesetzt werden. Brettsperrholz besteht aus mehreren über Kreuz aufeinanderliegenden Brettlagen und wurde von Schickhofer und seinem Team zu Beginn der 1990er-Jahre entwickelt. Mittlerweile werden pro Jahr weltweit an die 600.000 Kubikmeter Massivholztafeln nach der Grazer Methode produziert, zwei Drittel davon in Österreich.

Schickhofer traut dem nachhaltigen neuen Baumaterial einen ähnlich kometenhaften Aufstieg zu, wie ihn der Stahlbeton zu Beginn des 20. Jahrhunderts hinlegte: "1908 hat man den Stahlbeton erstmals in eine Fläche gegossen, und bereits 100 Jahre später findet man kaum noch Bauten aus einem anderen Material!" Heute könne man aus Holz gleichwertiges, aus ökologischer Sicht sogar besseres Baumaterial herstellen. "Mit etwas politischem Willen - wie ihn etwa die Londoner Stadtregierung zeigt - könnte man dem Holz in der Baubranche zu einem vergleichbaren Siegeszug verhelfen."

Zurzeit arbeiten die Grazer Forscher intensiv an neuen Methoden für den Einsatz von Brettsperrholz für leichte, weitgespannte Konstruktionen aus Holz. Dabei werden etwa getrocknete und verklebte Schälfurniere aus Laubhölzern für die Herstellung unterschiedlicher Profilformen und -größen untersucht.

Mit dieser Methode soll den viel zu wenig genutzten Laubhölzern der Weg in den Bausektor bereitet werden. "Da wir in Europa einen beachtlichen Zuwachs an Laubhölzern haben, ist das ein internationales Anliegen", sagt Schickhofer. Bisher seien Industrie und Baugewerbe in Mitteleuropa auf Nadelhölzer - insbesondere die Fichte - ausgerichtet.

Laubhölzer wie etwa Buche oder Birke werden großteils als Brennholz genutzt. "Eine unglaubliche Verschwendung", ärgert sich der Forscher. "Dabei ist die Leistungsfähigkeit dieser Hölzer um 50 bis 100 Prozent höher als jene der Fichte." Auf der Suche nach neuen Methoden für tragfähige und dauerhafte Holz-Holz-Verbindungen durchforsten die Wissenschafter auch den reichen Fundus der alpinen und asiatischen Holzbautraditionen.

Abhängig von Holzimporten

Kaum zu glauben, dass Österreich dennoch ein gutes Drittel des hierzulande verbrauchten Holzes einführen muss. Einer aktuellen Studie des Instituts für Systemwissenschaften, Innovations- und Nachhaltigkeitsforschung an der Uni Graz zufolge ist Österreich sogar der weltweit zweitgrößte Holzimporteur nach China. Wie ist so etwas möglich? "Einerseits haben wir in Österreich einen großen und sehr produktiven holzverarbeitenden Sektor, der diese Importabhängigkeit zum Teil erklären kann", erläutert Projektleiter Alfred Posch.

Andererseits aber werden nahezu 20 Prozent der verfügbaren Holzmenge direkt verbrannt, ohne dass sie vorher in der Platten-, der Papier-, der Säge- oder der Bauindustrie eingesetzt wurden. "Im Sinne der Nachhaltigkeit ist das keine gute Entwicklung", sagt der Systemwissenschafter. "Eine stufenweise Nutzung von Holz wäre in Hinblick auf Umweltschutz und Arbeitsplätze sicher sinnvoller." Und nicht zuletzt auch für die heimische Baubranche, die ja auf eine holzreiche Tradition zurückblicken kann und sich gerade in einer Zeit gesteigerten ökologischen Bewusstseins durch eine stärkere Konzentration auf Holz ein zukunftsweisendes Image verpassen könnte.

Bemerkenswerte Beispiele dafür, wie man vor Hunderten von Jahren in unseren Breiten oder in China ganz ohne Klebstoff und Metall Holzteile aufs Kunstvollste und gleichzeitig extrem stabil miteinander zu verbinden wusste, liefert übrigens die aktuelle Ausstellung Geheimnis Holz des Universalmuseums Joanneum im Schloss Stainz in der Steiermark. Dort ist auch ein massiver Holzkubus aufgestellt, der auf eindrückliche Weise begreifbar macht, in welchem Ausmaß sich unser Holzreichtum in jeder einzelnen Sekunde vergrößert. (Doris Griesser, DER STANDARD, 10.9.2014)