Laßnitz - Der Abt lächelt milde. Furchtbar gern wäre er hier beim Laßnitzer Dorffest im Kreise seiner Schäfchen verblieben, aber "die Pflicht", seufzt der Gottesmann, "die Pflicht" - und hält die Hand schützend vor die Stirn. Die Sonne heizt auf den Dorfplatz herunter, die Kirchengemeinde rettet sich nach der Sonntagsmesse, die Abt Benedikt Plank im Freien abgehalten hat, ins angrenzende Bierzelt zu einem kühlenden Krügerl. Oder zwei.
Seit auch im steirischen Bezirk Murau die Pfarrer knapp sind, muss der Abt des nahen Stifts St. Lambrecht immer wieder als Pfarrer einspringen. In der kleinen Gemeinde Laßnitz gleich zweimal. "Ich mach einmal oben, einmal unten Gottesdienst", klärt Plank auf. Einmal in der Kärntner Kirche und einmal in der steirischen. "Oben", da sind die "Dorfer", die Steirer, "inten" (unten) sind die Kärntner. Mitten durch den 500-Einwohner-Ort verläuft die Landesgrenze. Sie teilt die Gemeinde in ein "Steirisch Laßnitz" und ein "Kärnterisch Laßnitz". Und niemand in diesem beschaulichen Flecken Land im letzten Winkel der Steiermark will irgendetwas daran ändern. Schon gar nicht die Kärntner Laßnitzer.
Eine Laune der Geschichte
Bereits im Mittelalter waren beide Ortsteile jeweils anderen Herrschaftshäusern und Bistümern zugeteilt. Ein Blick auf die Landkarte aber verdeutlicht, dass Laßnitz von lauter steirischen Gemeinden umgeben und der nächste Kärntner Ort meilenweit entfernt ist. Die Grenze durch das Dorf stellt irgendwie nur eine Laune der Geschichte dar. Aber: einmal Kärntner Laßnitzer, immer Kärntner Laßnitzer. Niemals würde es ihnen einfallen, mit den steirischen Freunden in einem Dorf zu wohnen, auf dessen Ortstafel einfach nur "Laßnitz" steht - ohne Zusatz "Steirisch" oder "Kärntnerisch".
Obwohl: Sie lieben einander ja. Sie sind alle bei der gleichen Feuerwehr, singen gemeinsam im Kirchenchor, sind beim selben Kameradschaftsbund. "Mia san jo eh olles ans. Oba trotzdem, wenn eine Abstimmung wär', ob die Kärntner Laßnitzer zur Steiermark wollen, dann bin i sicher, dass 90 Prozent dagegen sind", sagt der Dorfchronist Christian Bestandmann. "Des wos ich immer sog, eine überwältigende Mehrheit würde für den Verbleib bei Kärnten votieren", sagt auch Stefan Petzer, Ex-BZÖ-Politiker und Steirisch Laßnitzer. Seine Eltern bewirtschaften hier einen Hof - an die 165 Hektar -, der sich von Laßnitz über die Grenze nach Kärnten zieht.
Identität geht vor
Es sei den Kärntnern "völlig egal", sagt Bestandmann, ob sie 20 Kilometer weit in die Kärntner Gemeinde Metnitz, der sie administrativ zugeordnet sind, oder ins 60 Kilometer entfernte St. Veit zur dortigen Bezirkshauptmannschaft fahren müssen statt zur sechs Kilometer nahen BH Murau. "Es geht um die Identität, die Kärntner Identität, die spielt eine unglaublich wichtige Rolle", sagt Stefan Petzner.
"Kärnten bleibt frei und ungeteilt. Des hob ich auch dem Jörg Haider g'sogt", grummelt der 89 Jahre alte stolze Kärntner Franz Spreitzer und halst seinen jungen Freund Stefan. Im Radio hört er wie all die anderen nur die Kärntner Sender, im Fernsehen wird "Kärnten heute" im ORF aufgedreht. Die steirischen Bewohner um die Ecke sitzen zur gleichen Zeit bei "Steiermark heute".
Spreitzers Sitznachbar drinnen im Bierzelt, wo die Dorfmusi schon zünftig aufspielt, zeigt genau dorthin, wo diese Kärntner Identität zu finden ist. "Do is sie", tippt er bedeutungsvoll auf die linke Brusthälfte, "do drinnen."
Petzner senior stößt zur kleinen Runde, die sich vor dem Bierzelt zum Tratsch versammelt hat. Er hat "volles Verständnis" für die Kärntner Mitbürger. Nur eines wurmt ihn: die Sache mit der Polizei. In Metnitz, der zuständigen Gemeinde für die Kärntner Laßnitzer, wurde die Polizeistation aus Spargründen aufgelassen. Jetzt muss die Polizei vom 40 Kilometer entfernten Friesach anrücken, wenn im Kärntner Teil von Laßnitz was los ist. Für die Steirer ist die Polizei im sechs Minuten nahen Murau zuständig.
Wirrwarr der Zuständigkeiten
Die Luft im Bierzelt ist mittlerweile zum Schneiden, auch Martina Kocher schenkt heute aus. Sie ist ins Festtagsdirndl geschlüpft und jongliert Krügerl besten Murauers durch die Bänke. Frau Kocher ist Landwirtin. 20 Mutterkühe stehen auf ihren Weiden, und damit beginnt schon das Ärgernis. Ihre Landwirtschaft erstreckt sich über beide Bundesländer, was regelmäßig zu bürokratischen Verwicklungen führt. Das Vieh steht in Kärnten, und wenn Martina Kocher die Kühe auf die Weide in die Steiermark treiben will, muss sie immer extra ein Ansuchen stellen. Das Wirrwarr an Zuständigkeiten gehe ihr auf die Nerven. Wohl nicht nur ihr.
Ein Sägewerksbesitzer, dessen Besitz durch die Grenze geteilt ist, hat ähnliche Probleme. Für sein Wohnhaus zahlt er Grundsteuer in Kärnten, die Umsatzsteuer für den Betrieb in der Steiermark.
Jedem sein Friedhof
Reinhard Peternell war Kameradschaftsbundobmann in Laßnitz. Sein Hof steht in der Steiermark, der Großteil des Besitzes liegt in Kärnten. Er aber findet sich in der Situation "perfekt zurecht" und möchte unbedingt, dass Kärntnerisch Laßnitz bei Kärnten bleibt. "Weil mit den Kärntner Behörden komm ich eindeutig besser zurecht. Der Kärntner hot a andere Mentalität, er is' ein etwas südlicheres Wesen. Die sind kommoder. Der Steirer ist eher konsequenter, mit dem Kärntner kannst reden. Do gibt's fast immer eine menschliche Lösung bei den Behörden."
Aufregung in die friedliche Zweisamkeit hat zuletzt die Debatte um die Gemeindefusionen gebracht. ÖVP-Parlamentarier Fritz Grillitsch hat angeregt, Kärntnerisch Laßnitz mit Steirisch Laßnitz zu fusionieren. Das laute "Nein" der Laßnitzer war bis Wien zu hören.
Und so leben sie weiterhin Haus an Haus eng beisammen, feiern und singen gemeinsam, gehen vereint in ihre Kirchen. Aber dann, wenn's zu Ende geht, trennen sich die Wege.
Die "Interen", die Kärntner, werden auf dem Gottesacker in Kärntnerisch Laßnitz begraben, die Dorfer auf dem steirischen Friedhof. (Walter Müller, DER STANDARD, 9.9.2014)