Exzentrische Amateurdetektive hat England zu Tausenden hervorgebracht. Den meisten aber fehlt das Geld, um ihren Ideen und Theorien auf den Grund zu gehen. Das war bei Russell Edwards anders. Sieben Jahre lang steckte der Geschäftsmann viel Geld in die Erforschung eines der spektakulärsten Kriminalfälle seiner Heimat. Mithilfe neuester DNA-Analysen eines finnischen Wissenschafters präsentiert Edwards (48) nun einen legendären Mörder: "Wir haben Jack the Ripper entlarvt."

Londons East End gilt seit langem als Armenhaus der Kapitale. Im ausgehenden 19. Jahrhundert waren Prostitution, Bettelei und Kleinkriminalität weitverbreitet – einer Zeit rapiden technischen Fortschritts und einer zerrissenen Gesellschaft, in der schreiende Armut neben unermesslichem Reichtum koexistierte. In diesem Milieu suchte sich der Serientäter in den Jahren 1888 bis 1891 seine zwischen 23 und 47 Jahre alten Opfer – fünf Morde werden eindeutig Jack the Ripper zugeschrieben, insgesamt könnte er sogar elf Prostituierte getötet haben.

Die ersten, in rascher Abfolge begangenen Morde führten in London im Herbst 1888 beinahe zu einer Massenhysterie. Die heftig konkurrierenden Zeitungen heizten die Spekulationen kräftig an, unter anderem mit einem anonymen Brief. Das in roter Tinte und mit "Jack the Ripper" unterschriebene Dokument verhöhnte die fieberhaft ermittelnde Polizei und belebte die Auflagen der reißerischen Blätter – was den Verdacht der Polizei nährte, der angebliche Bekennerbrief sei die Fälschung eines Journalisten. Doch der Name blieb haften.

Niere entfernt

Das Schreiben ging am 27. September 1888 bei der Central News Agency ein - drei Tage, bevor der "Schlitzer" einen Doppelmord beging. Eines der Opfer war Catherine Eddowes, der Mörder hatte eine ihrer Nieren entfernt. Zwei Wochen später erhielt ein örtlicher Geschäftsmann ein Paket. Neben der Hälfte einer menschlichen Niere enthielt die schauerliche Sendung auch einen Brief: Die andere Hälfte der Niere habe er "gebraten und gegessen", behauptete der Schreiber: Es habe “sehr lecker” geschmeckt.

All diese Details kannte Hobbyforscher Edwards natürlich längst, als 2007 ein obskures Ripper-Erinnerungsstück auf den Markt kam: Das 1,87 Meter mal 65 Zentimeter lange Schultertuch stammte angeblich vom Tatort des Eddowes-Mordes und wies erhebliche Blutspuren auf. Ein junger Polizist habe das Kleidungsstück – angeblich mit Zustimmung seiner Vorgesetzten – an sich genommen, die Nachfahren hätten es ungewaschen aufbewahrt, hieß es. Andere Ripper-Kenner rümpften die Nase: zu viele Ungereimtheiten, darunter nicht zuletzt auch die Frage, ob das reich verzierte Tuch wirklich am Tatort gewesen war. Der in tiefer Armut lebenden Eddowes hatte es jedenfalls nicht gehört.

Also vielleicht dem Mörder? Edwards’ Neugier war geweckt. Er bezahlte "einen erheblichen Batzen Geld" dafür und übergab das Stück dem an der Uni Helsinki und in Liverpool lehrenden Biochemiker Jari Louhelainen. Schnell stand fest: Das Tuch stammte aus Osteuropa, dem Herkunftsort eines der Haupt-Tatverdächtigen im Fall der Ripper-Morde. Bei der Polizeibehörde Scotland Yard hat der heutige Ripper-Spezialist Alan McCormick sogar keinen Zweifel an der Identität des Täters: "Es war Aaron Kosminski."

Als Friseur tätig

Der vor Pogromen in seiner polnischen Heimat geflohene Mann lebte mit drei Geschwistern im East End, wo er als Barbier arbeitete, sich also mit Messer und der menschlichen Anatomie auskannte. Im Februar 1891 wurde der damals 25-Jährige in ein Heim für Geisteskranke eingewiesen – genau zur gleichen Zeit brach die Mordserie ab. Weil ein Zeuge seine Aussage zurückzog und kaum Aussicht auf die Verurteilung eines psychisch Kranken bestand, sei der Fall damals nicht zur Anklage gekommen, erläutert McCormick.

Louhelainen glaubt nun Kosminskis Schuld belegen zu können. Mit teils selbstentwickelten Methoden gelang dem Finnen die Extraktion von mitochondrialer DNA aus dem 126 Jahre alten Beweisstück – Blutspuren und winzige Spermareste. Karen Miller, eine Nachfahrin des Mordopfers, stellte dem Forscher eine DNA-Probe zur Verfügung. "Das passte 100 Prozent zusammen", berichtet der Genetiker. Das Tuch war also tatsächlich durchtränkt von Eddowes’ Blut.

Nun musste nochmal Hobbydetektiv Edwards ans Werk. Dem Engländer gelang es, eine Nachfahrin von Kosminskis Schwester ausfindig zu machen. "Ihre Identität will ich beschützen", schreibt Edwards in der Londoner "Mail on Sunday", die einen Vorabdruck aus Edwards' neuem Buch "Naming Jack the Ripper" präsentiert. Diesmal ergab der Vergleich zwischen der Spermaprobe und der frischen DNA zunächst eine Übereinstimmung von 99,2 Prozent. Erst bei einem zweiten Versuch stellte sich das ersehnte Ergebnis ein: 100 Prozent. Edwards gibt sich überwältigt: "Ich habe das Geheimnis gelüftet." (Sebastian Borger aus London, derStandard.at, 8.9.2014)