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Viel Schatten, aber auch etwas Licht im österreichischen Bildungssystem zeigt die neue OECD-Studie "Education at a Glance". Überrascht hat OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher dabei vor allem eins: "Weniger als ein Drittel der Erwachsenen in Österreich haben eine höhere Ausbildung als ihre Eltern, und das bei rasant wachsenden Anforderungen am Arbeitsmarkt."

Foto: EPA/EMILIO NARANJO

STANDARD: Welches Ergebnis in der Österreich-Analyse von "Education at a Glance 2014" hat Sie am meisten überrascht – positiv wie negativ?

Schleicher: Große Stärken Österreichs sind der geringe Anteil Jugendlicher, die weder in Beschäftigung noch Bildung sind, sowie die insgesamt sehr positive Arbeitsmarktbeteiligung. Darüber hinaus ist Österreich im Hochschulbereich sehr attraktiv für ausländische Studierende geworden.

Überrascht hat mich dagegen, dass die Bildungsmobilität in Österreich trotz aller Anstrengungen immer noch sehr gering ist. Weniger als ein Drittel der Erwachsenen in Österreich haben eine höhere Ausbildung als ihre Eltern, und das bei rasant wachsenden Anforderungen am Arbeitsmarkt. Nur in Deutschland und der Tschechischen Republik ist dieser Anteil geringer. Das bedeutet sehr viele verlorene Lebenschancen.

STANDARD: Welche Bildungsindikatoren sehen Sie in Österreich politisch zu wenig bearbeitet oder gar vernachlässigt?

Schleicher: Die Priorität, die Österreich der Bildung einräumt, ist gemessen an den Bildungsinvestitionen beeindruckend und bewundernswert. Dennoch muss sich Österreich Gedanken bei den Kostenstrukturen machen. In vielen der erfolgreichsten Bildungssysteme werden klare Prioritäten gesetzt, meist werden dort die Qualität und die professionelle Entwicklung der Lehrer sehr viel höher bewertet als z. B. Klassengrößen.

In Österreich sind die Lehrergehälter besser, die Klassen kleiner, die Unterrichtstage für die Schüler länger und die Zahl der von den Lehrern geleisteten Unterrichtsstunden geringer als im OECD-Mittel. Das wird von Schülern, Lehrern und Eltern sicher alles positiv bewertet, aber macht das Bildungssystem dann auch sehr teuer. Und letztlich sollte Österreich dann auch überdurchschnittlich Bildungsleistungen erbringen. Österreichs Bildungsleistungen heute sind Österreichs Wirtschaft und Gesellschaft von morgen. Da bleibt also noch viel zu tun.

STANDARD: Österreich gibt vergleichsweise viel Geld für Bildung aus, aber heraus kommt offenbar nicht genug. Was läuft da falsch?

Schleicher: Auf die Lehrer kommt es an! Nicht die Klassengröße entscheidet über den Erfolg oder Nichterfolg von Schülerinnen und Schülern, sondern die Qualität des Unterrichts – und somit die Qualität der pädagogisch handelnden Personen. Die Qualifikation des Lehrers bzw. der Lehrerin ist DIE zentrale Größe im Bildungswesen.

Schon heute gibt es viele Lehrerinnen und Lehrer, die ihren Schülerinnen und Schülern gerecht werden, sie fördern und fordern. Aber auch hier geht noch mehr. Der Lehrerberuf ist einer der anspruchsvollsten und wichtigsten. Ebenso wichtig wie eine gute Aus- und Weiterbildung der Lehrer ist ein Arbeitsumfeld, dessen Attraktivität nicht auf dem Beamtenstatus, sondern auf Kreativität, Innovation und Verantwortung beruht und das Differenzierung im Aufgabenbereich, Verantwortung für Lernergebnisse und gute Unterstützungssysteme anbietet, sodass Lehrerinnen und Lehrer am Ende nicht als Einzelkämpfer im Klassenzimmer dastehen.

STANDARD: Kaum ein Land gibt so viel Geld pro Studierenden aus wie Österreich, 68.000 Dollar (OECD-Schnitt Differenz 38.000 Dollar) mehr als für Absolventen von höheren Schulen der Sekundarstufe II. Nur in zwei Ländern, Dänemark und Niederlande, ist diese Differenz noch größer. Was bedeutet dieses Ergebnis, zumal die österreichischen Hochschulen dennoch über systematische Unterfinanzierung klagen?

Schleicher: Das ist in der Tat sehr viel Geld, aber es ist auch gut angelegt. Der österreichische Steuerzahler verdient an jedem Universitätsabsolventen rund 100.000 Euro mehr, als er ausgibt, weil diese in ihrem Arbeitsleben sehr viel mehr verdienen und deutlich höhere Steuern und Sozialabgaben bezahlen.

Dennoch kann man die Frage stellen, ob nicht auch die Studierenden durch nachgelagerte Studiengebühren an diesen Investitionen angemessener beteiligt werden sollten, so wie das etwa in Großbritannien passiert. Der private Finanzierungsanteil der Hochschulen liegt in Österreich ganz am unteren Ende. Damit würden dann Mittel frei, um mehr Studierenden ein besseres Studium zu finanzieren oder um andere wichtige Bildungsvorhaben zu unterstützen.

STANDARD: Es ist quasi das "Und jährlich grüßt das Murmeltier" in "Edcuation at a Glance" Austria: Die Akademikerquote ist im OECD-Vergleich deutlich unterdurchschnittlich: Während im OECD-Schnitt 40 Prozent der 25- bis 34-Jährigen einen akademischen Abschluss haben, sind es in Österreich nur 23 Prozent – immerhin ein Anstieg von 14 auf 23 seit 2000. Kann sich ein (noch) ökonomisch starkes Land damit vielleicht auch begnügen und sagen: Dafür haben wir eine geringe Jugendarbeitslosigkeit?

Schleicher: Diese Frage lässt sich schlecht mit Quoten beantworten. Entscheidend ist hier das Zusammenspiel zwischen Angebot und Nachfrage. Die Tatsache, dass der Einkommensvorteil von Hochschulabsolventen in Österreich so viel höher ist als in den meisten OECD-Staaten und vor allem in den letzten zehn Jahren überdurchschnittlich stark gewachsen ist, legt nahe, dass Österreich gut beraten wäre, mehr jungen Menschen eine akademische Ausbildung anzubieten. Das ist der hervorragenden beruflichen Ausbildung in Österreich ja auch überhaupt nicht abträglich.

Die Beschäftigungsquoten sind in Österreich für alle Ausbildungswege sehr gut, aber letztlich kommt es ja nicht nur darauf an, einen Job zu haben, sondern auch darauf, damit sowohl für sich selber als auch für das Land den größtmöglichen wirtschaftlichen und sozialen Erfolg zu sichern. Letztlich wollen Sie ja nicht mit den chinesischen Fabrikarbeitern konkurrieren, sondern mit den innovativsten Märkten der Welt. Das muss sowohl für die akademische als auch für die berufliche Ausbildung ein wichtiger Maßstab sein. Wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt sind in erster Linie eine Frage von Produktivitätszuwachs.

STANDARD: Gegen die Kritik an der zu niedrigen Akademikerquote kommt dann oft das Argument, die OECD würde in anderen Ländern Berufe zu „Akademikern“ rechnen, die hierzulande als keine gelten: Absolventen der Höheren Technischen Lehranstalten (HTL), früher Lehrer, die an Pädagogischen Akademien ausgebildet wurden, oder Krankenschwestern. Berechtigte Kritik oder unberechtigte Schönrechnerei?

Schleicher: Es ist immer schwierig, bestimmte Ausbildungswege international zu vergleichen. Aber die diesjährige Ausgabe von "Bildung auf einen Blick" vergleicht zum ersten Mal nicht nur formale Qualifikationen, sondern auch direkt gemessene Kompetenzen. Bei diesen Tests schneiden Absolventen des tertiären Bildungssystems im Mittel deutlich besser ab als Absolventen nicht tertiärer beruflicher Ausbildungsgänge. Allerdings gibt es hier auch ein deutliches Maß an Überlappung – das heißt, einige Universitätsabsolventen schneiden schlechter ab als andere Absolventen mit nicht tertiärer Ausbildung.

STANDARD: Dann gibt es auch noch eine Gruppe, die vor dem „Akademisierungswahn“ warnt. Diese Kritiker meinen, „nicht jeder Tischler muss Akademiker sein", bzw. nicht jede Kindergartenpädagogin oder nicht alle Pflegenden etc. – meist sind das allerdings Menschen, die selbst als Akademiker in recht gut dotierten und mit hohem Sozialprestige versehenen Positionen sind.

Schleicher: Ja, die reden meistens über die Kinder anderer Leute.

STANDARD: Was raten Sie, um den Spagat zwischen zu wenig Akademikern und der bewährten dualen Berufsausbildung politisch auszutarieren?

Schleicher: Beides sollten wichtige Stärken für Österreichs Zukunft sein. Je weniger man sich dabei an politisch gewünschten Quoten orientiert und je mehr man sich daran orientiert, was der Gesellschaft und Wirtschaft am meisten nützt, umso eher findet man die richtige Balance.

STANDARD: In Österreich ist die Chance für ein Kind, dessen Eltern nur einen Pflichtschulabschluss haben, selbst einen Uni-Abschluss zu erlangen, nur halb so groß wie im OECD-Schnitt (10 Prozent vs. 20 Prozent). Was ist zu tun, um das zu ändern?

Schleicher: Der Zugang zum Hochschulsystem selber ist in Österreich ja relativ offen. Die entscheidende Herausforderung ist, bereits in der Schule die Abhängigkeit des Lernerfolgs vom sozialen Kontext stärker zu entkoppeln.

STANDARD: In Österreich ist die Kostenpyramide der privaten Bildungsausgaben im OECD-Vergleich auf den Kopf gestellt: Für vorschulische Bildung (Kindergarten) liegt der Anteil bei 28 Prozent (OECD-Schnitt: 19 Prozent), fürs Studium bei 13 Prozent (OECD: 31). Sollte man das ändern?

Schleicher: Ja, im Kindergarten übersteigen die gesellschaftlichen Erträge die individuellen Erträge deutlich. Im Hochschulsystem ist es genau umgekehrt. Deswegen sind Studiengebühren an den Hochschulen sehr viel sinnvoller und sozial gerechter als Studiengebühren im Kindergarten. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 9.9.2014)