Wien - Die Momente, in denen Jürgen Melzer neben Dominic Thiem sitzt, sind an den Fingern einer halben Hand abzuzählen. Tendenz fallend. Die beiden verbindet, Tennisprofi zu sein. Wobei der 33-jährige Melzer die Zukunft eher hinter sich hat. Der 21-jährige Thiem hingegen will der Welt einen Haxn ausreißen, zumindest dorthin kommen, wo Melzer war. In die Top Ten. Sie saßen also am Freitagvormittag nebeneinander im Haus des Sponsors, um das Turnier in der Wiener Stadthalle, die Erste Bank Open (ab 11. Oktober), zu promoten. Zum 40. Mal wird an dieser Stätte gespielt, Melzer hat fünf Prozent davon gewonnen (2009 und 2010). Thiems Quote liegt (noch) bei null. Er ist heuer zum fünften Mal dabei: "Eigentlich ein Wahnsinn."

Topgesetzt ist vorerst Feliciano López, Turnierdirektor Herwig Straka kündigte einen Star (oder zwei) an, verdächtigt werden Jo-Wilfried Tsonga und Andy Murray. Melzer und Thiem sagen: "Momentan ist das Feld ausgeglichen, jeder kann jeden schlagen." Womit eine inhaltliche Übereinstimmung gegeben wäre.

Thiem leidet unter dem Jetlag. Er ist am Donnerstag aus New York zurückgekehrt, bei den US Open ist er erst im Achtelfinale an Tomas Berdych gescheitert. Allerdings ganz klar in drei Sätzen. Melzer kann sich an New York nur mehr vage erinnern, er hat in der ersten Runde verloren. Thiem wird in den nächsten Tagen darüber befinden, ob er stolz oder doch traurig sein soll. Er dürfte sich für beides entscheiden. Sein Trainer Günter Bresnik sagt: "Er geht mit Erfolgen viele besser um als mit Misserfolgen. Berdych hat Schwächen aufgedeckt." Welche? "Das ist eine Sache zwischen Spieler und Trainer." Thiem: "Ich habe in New York eher schlechtes Tennis gezeigt. Um ein Großer zu werden, muss ich gutes Tennis zeigen."

Melzer zeigt nicht mehr auf seine Schulter. Die ist wiederhergestellt, mehr als sieben Monate hatte sie gestreikt. "Jetzt ist die psychische Belastung weg. Ich denke, sie hält." Und er legt Wert darauf, "dass ich den Beruf nach wie vor voll ausübe. Rücktrittsgedanken sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal im Hinterkopf." Melzer ist aus den besten 100 gefallen, allerdings ist er bis Mitte Jänner aufgrund seiner langwierigen Verletzung geschützt. Er kann Turniere bestreiten, muss nicht auf Challenger-Ebene raufen. "Das ist in keinem Alter leicht." Niederlagen schmerzten nach wie vor. "Ich habe die Sehnsucht, die Worte Spiel, Satz, Sieg Melzer zu hören. Ich bin ein Wettkämpfer, es geht nur ums Gewinnen." Er sagt, dass Thiem die Nummer eins im Lande ist und bleibt. "Das ist verdient und der Lauf der Zeit." Melzers Vollbart ist ein äußeres Zeichen. Davon ist Thiem weit entfernt.

Der benötigt eine Pause. Er lässt den Daviscup in Lettland (ab 13. September) aus. Melzer fährt selbstverständlich am Sonntagabend hin, er fühlt sich dazu verpflichtet und kann Thiems Entscheidung nicht ganz nachvollziehen. "Es geht um drei Punkte. Ich will Österreich in der Europa-Afrika-Zone halten." Thiem sagt: "Das schaffen sie auch ohne mich." Prinzipiell sei er natürlich am Daviscup interessiert. Die Letten haben Ernests Gulbis, den Trainingspartner von Thiem zwar genannt, laut Bresnik kommt Gulbis aber am Montag zum Training nach Wien. "Er spielt nicht in Riga." Melzer: "Das wäre gut."

Thiems Ziel ist es, bei den Australian Open im Jänner 2015 gesetzt zu sein. "Das macht das Leben leichter." Melzer möchte sich die Quali ersparen. "Das macht das Leben leichter. Ich brauche Siege. Gelingen sie nicht, werden Gedanken, das Einzel zu beenden, aus dem Hinterkopf treten. Im Doppel mache ich bis Olympia 2016 weiter. Da habe ich mit Alex Peya Medaillenchancen." In Wien gilt Thiem als Ticketseller, Melzer ist nur dabei. "In dem Feld kann jeder jeden schlagen", sagen sie. (Christian Hackl, DER STANDARD, 6.9.2014)