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Die alte Sowjethymne, Orden wie "Held der Arbeit", Schuluniformen: Wladimir Putin versucht, die Nostalgie gezielt zu bedienen.

Foto: EPA/MAXIM SHIPENKOV

Wladimir Putin hat ein Faible für die Vergangenheit: Am 1. September dieses Jahres, in der Ostukraine tobten Gefechte zwischen Regierungstruppen und prorussischen Rebellen, tauchte aus dem ostsibirischen Jakutsk eine Meldung über Putins Besuch im örtlichen Mammutmuseum auf.

Sein besonderes Interesse weckte ein vor wenigen Jahren gefundenes Mammutweibchen: "Die Weichteile sind erhalten. Heißt das, man kann es klonen?", fragte der russische Präsident und war entzückt zu hören, dass daran schon gearbeitet werde.

In die graue Vorzeit will Putin Russland nicht führen, doch die Episode illustriert die rückwärtsgewandte Politik des Kremlchefs mit seiner starken Orientierung am sowjetischen Modell. "Wenn ich ehrlich bin, tat es mir um die verlorenen Positionen der Sowjetunion in Europa leid, auch wenn ich verstand, dass eine Position, die auf Mauern und Wasserscheiden beruht, nicht ewig halten kann", kommentierte Wladimir Putin kurz nach seinem ersten Amtsantritt rückblickend den Fall der Berliner Mauer vor 25 Jahren.

Die "Vertikale der Macht"

Die alte Größe Russlands wiederherzustellen wurde zum Leitmotiv seiner Politik. Die "Vertikale der Macht" wurde gestärkt und die Rüstungsausgaben dramatisch angehoben. Patriotische Erziehung und sowjetische Symbolik sind wieder en vogue. Putin hat die alte Sowjethymne, Orden wie den "Held der Arbeit" oder Schuluniformen wiederbelebt.

Ein Großteil der Bevölkerung heißt diesen Kurs heute - auch wegen des unter Putin (und dank der hohen Rohstoffpreise) allgemein gestiegenen Wohlstands - gut. Leere Regale wie zum Ende der Sowjetzeit gibt es nicht. Unternehmer klagen zwar über Bürokratie und Korruption, doch dank niedriger Sozialabgaben funktioniert der russische Turbokapitalismus zumindest für Geschäftsleute nicht schlecht. Der Anschluss der Krim brachte Putin international Kritik ein, in Russland schossen seine Beliebtheitswerte in den Himmel.

Der bekannte russische Philosoph Igor Tschubais (Bruder des einstigen Chefprivatisierers Anatoli Tschubais) sieht in den Umfragewerten für Putin freilich nur einen "Indikator für die Effizienz der Propaganda". "Der Busfahrer, der sich nach acht Stunden täglich hinter dem Lenkrad abends müde auf die Couch setzt, wiederholt nur das, was er im Fernsehen vorgesetzt bekommt", sagte Tschubais im Gespräch mit dem Standard. Die Bilder und Meinungen aber würden immer mehr angeglichen.

Was zählt, ist der Kreml

Tatsächlich hat sich das russische Mediensystem in den letzten 14 Jahren gewaltig gewandelt: Waren die Sender und Zeitungen in den 90er-Jahren zumeist Sprachrohr verschiedener Oligarchen, so hat der Kreml sich inzwischen alle großen Medien untergeordnet. Im Zuge der Ukraine-Krise wurden auch die letzten Lücken geschlossen. Selbst das bislang freie Internet wurde rigoros beschränkt.

Ziel ist die Ausrichtung der öffentlichen Meinung den Bedürfnissen des Kreml entsprechend. Wie stark die Meinungsmaschine funktioniert, musste der bekannte Musiker Andrej Makarewitsch nach einem Auftritt in der benachbarten Ukraine am eigenen Leib erfahren: "Die dritte Woche reißt die Flut an Schmutz und Verleumdung, die sich von Zeitungsseiten und vom TV-Bildschirm auf mich ergießt, nicht ab. Ich werde als 'Freund der Junta', 'Faschistenhelfer' und 'Verräter' bezeichnet", klagte der Sänger der Rockgruppe Maschina Wremeni.

Wer anders ist, hat keinen Platz

Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Zerfall der Sowjetunion besteht die Gefahr, dass sich Russland unter dem Einfluss des Kreml und der russisch-orthodoxen Kirche zu einer geschlossenen Gesellschaft entwickelt, die von stark konservativen Werten geprägt wird.

Für politisch Andersdenkende, zivilgesellschaftliche Institutionen oder sexuelle Minderheiten ist in diesem Land kein Platz. Die einen stehen unter dem Generalverdacht, "ausländische Agenten" zu sein, die anderen gelten als Symbol westlicher Dekadenz. (André Ballin aus Moskau, DER STANDARD, 6.9.2014)